Bilder der Welt und Inschrift des Krieges

Film von Harun Farocki


Stab:
Kamera: Ingo Kratisch
Trick-Kamera: Irina Hoppe
Ton: Klaus Klingler
Mischung: Gerhard Jensen-Nelson
Negativschnitt: Elke Granke
Recherche und Regieassistenz:Michael Trabitzsch
Produktion: Harun Farocki
Mit Mitteln der Kulturellen
Filmförderung NRW

BRD 1988 16mm, 75 Minuten

Inhalt

Eine Frau ist in Auschwitz angekommen. Die Fotografie, die ihr Schönsein bewahrt, ist von der gleichen SS gemacht, die auch das Lager führt -und sie zugrunde richten wird. Wie das zusammenspielt, bewahren und zerstören! Wie mit solchen Bildern umgehen? Wie dieses Foto zeigen und in Anführungsstriche setzen? Ein Essayfilm über die Fotografie und die Verwertung der Bilder. Unter anderem geht es um die Frage, was Auschwitz heute für uns bedeuten kann. Dazu geht der Film zurück bis ins Jahr 1858, als dem Regierungsbauführer Meydenbauer die Idee kam, Gebäude anhand von Fotos auszumessen. Meßbilder für die Denkmalpflege. Meßbilder konnte auch der preußische Kriegsminister brauchen. Was einen Zusammenhang schafft, da Militärs zerstören und Denkmalpfleger bewahren.
Ein Film, der Auseinandergerissenes verbindet, ohne es in eins zu setzen. Es geht um die Frage, wie der Krieg, die Produktion von Bildern und die Industrie zusammenhängen. Ohne mit Weil und Deshalb zu antworten.
Ein Film, der Bilder gelten läßt und befragt, aber nicht ausbeutet. In Paßbildern algerischer Frauen entziffert er das Erschrecken, identifiziert zu werden. Ein Film, der sich Auschwitz aus 7000 Metern Höhe nähert und der sich weigert, die Leiden und das Sterben anschaulich zu machen und also zu verkitschen -wie es üblich ist. Der Film verspricht etwas anderes: den Blick des Zuschauers zu binden, ohne ihn zu fesseln und so Gedanken freizusetzen.

DAS BILD: Am 4.April starteten amerikanische Flugzeuge in Foggia/Italien und flogen Ziele in Schlesien an. Beim Anflug auf die im Bau befindlichen Anlagen der IG-Farben machten sie ein Bild von Auschwitz. Die Aufnahmen kamen zur Auswertung nach Medmanham in England. Die Auswerter entdeckten die Fabriken; die Todesfabrik Auschwitz entdeckten sie nicht. Sie hatten keinen Auftrag, das Lager zu suchen und also fanden sie es nicht.

DIE FRAGE: Warum wurde Auschwitz nicht bombardiert? Warum wird Auschwitz nicht aus der Luft angegriffen?- Diese Frage richteten jüdische Funktionäre wiederholt an die Alliierten in London und Washington, nachdem die Wahrheit über das Lager auf anderen Wegen ins Ausland gesickert war. Tatsächlich hätte die SS die Krematorien 1944 nicht mehr aufbauen können. Die Alliierten lehnten jedoch ab. Man müsse sich auf den militärischen Sieg über Deutschland konzentrieren.

DIE GESCHICHTE: Am 9.April 1944 gelang zwei Häftlingen die Flucht. Rudolf Vrba und Alfred Wetzler. Sie schrieben einen genauen Bericht über das Lager. Drei Exemplare ihres Zeugnisses wurden abgesandt: eines erreichte London und Washington, ein anderes ging an den päpstlichen Nuntius. Jetzt war die Wahrheit über das Todeslager weitergegeben,- aber Auschwitz wurde nicht bombardiert. Der Bericht -das Foto -die Frage: In dem Film von Harun Farocki ergeben sie eine Geschichte, die vor Auschwitz begann und nach Auschwitz nicht endete. Nichts ist zynischer als die Wirklichkeit: Im Lager war es jedem Häftling strengstens verboten zu fotografieren. Die SS aber fotografierte: Sie machte Aufnahmen von der "Selektion". Alfred Kantor, ein Häftling, zeichnete das Lager so exakt wie ein Foto. Er tat dies, um eine Wirklichkeit zu überliefern, die die Grenze des Vorstellbaren unendlich überschritten hatte. Die Aufzeichnung des Undenkbaren ist so unpersönlich, als wären es nicht mehr Menschen, die an diesem Ort vernichtet wurden. Hilflos stehen wir vor einer Realität, die so jenseits des Menschen ist, daß sie ihren adäquaten Ausdruck in einem Foto findet, das aufgenommen aus 7.000 Metern Höhe, die Schlange vor der Gaskammer als Häufung winziger Punkte, als statistische Daten registriert. Die SS fotografierte: Sie wollte im Detail dokumentieren, wie sie Millionen Menschen vernichtete, ohneSpuren zu hinterlassen. In irgendeiner furchtbaren Zukunft hätte sie die Bilder präsentiert, um zu zeigen, was wirklich geschah. Was wirklich geschah, wollte Alfred Kantor überliefern, der zeichnete, um den Fotoapparat zu ersetzen. Die Häftlinge wollten ein Bild nach außen bringen - die SS machte Bilder im Innern dieser Hölle. Nichts ist grausamer als diese Simultaneität:das Bestreben, die Wirklichkeit im Bild festzuhalten. Das ist, sagt Harun Farocki, die Wahrheit der Bilder. Darum tragen sie die Inschrift des Krieges. Das Foto dokumentiert die Zerstörung, und die fotografische Wahrnehmung liegt immer in dem schwer bestimmbaren Raum zwischen Aufbewahren und Vernichten. Bis einmal beide Pole in eins zusammenschließen: in das Bild von Auschwitz, aufgenommen aus 7000 Metern Höhe. Und die Insassen des Lagers, die den Flieger hörten, wünschten, er möge Zerstörung über diese Stätte des Todes bringen. Diese Geschichte erzählt Harun Farocki. Er erzählt sie, indem er viele andere Geschichten und Bilder zeigt. Die Geschichte des Meßbildes, das entwickelt wurde, um Bauwerke,z.B. eine Artilleriestellung, anhand von Fotos ermessen zu können. Die Geschichte einer Metalldrückerei, die Suchscheinwerfer produzierte für die fotografische Aufhellung des Himmels. Und zuletzt sehen wir: Alle diese Geschichten tragen die Inschrift des Krieges. "Texte aus dem Schneidetisch, nicht Schnitte aus der Schreibmaschine"

Gespräch mit Harun Farocki:
In "Etwas wird sichtbar" sagt Robert: Man muß alles verbinden. Das ist auch die Methode des Films. Beschreibt dieser Satz auch "Bilder der Welt und Inschrift des Krieges"?

H.F.: Ja,das ist fast wie bei einem Domino-Spiel. Man probiert die Wertigkeiten. Verbinden heißt dabei natürlich nicht, alles einzuebnen, sondern, daß man eine Spannung zwischen den Verschiedensten Dingen sucht oder findet. In "Wie man sieht" habe ich sehr weit auseinanderliegende Dinge in Verbindung gebracht: z.B. die Bedeutung der Weggabelung und die Geburt der Rechenmaschine aus dem Geist der Weberei. In diesem Film nun liegen die Gegenstände nicht so weit voneinander entfernt. Die Spannung soll sich eher aus der Weise aufbauen, in der sie aufeinander bezogen werden. "Bilder der Welt -Inschrift des Krieges" hat einen übersichtlichen Bauplan, in dem sich bestimmte Themen wiederholen.

H.F.: Der Film hat eine rhythmische Komposition. Er geht nicht von A zu B oder Z; er durchläuft Schleifen. Die Dinge, die erscheinen, kommen verändert immer wieder an verschiedenen Stellen vor. In anderer Umgebung und von anderer Seite. Das gilt nicht nur für die Themen, das gilt auch für die Bilder.

In deinen Filmen wird die Macht des Augenscheins stets gebrochen, die Bilder werden entschlüsselt und gelesen. Warum muß man den Bildern mißtrauen?

H.F.: Man muß gegen Bilder ebenso mißtrauisch sein wie gegen die Wörter. Es gibt keine Literatur ohne Sprachkritik, ohne daß der Autor der vorhandenen Sprache gegenüber kritisch ist. Ebenso ist es bei Filmen. Man muß keine neuen, nie gesehenen Bilder suchen, aber man muß die vorhandenen Bilder in einer Weise bearbeiten, daß sie neu werden. Da gibt es verschiedene Wege. Mein Weg ist es, nach verschüttetem Sinn zu suchen und den Schutt, der auf den Bildern liegt, wegzuräumen. Ich versuche dabei nicht, dem Film Ideen beizugeben; ich versuche, in Film zu denken, damit die Ideen aus der filmischen Artikulation kommen. So wie es ein Unterschied ist, ob man in einer Sprache denkt und spricht oder ob man das Gedachte in eine andere Sprache übersetzt. Ganz wörtlich habe ich dabei die Texte aus dem Schneidetisch und nicht die Schnitte aus der Schreibmaschine.

Der Film spielt mit Parallelen; z.B.der zwischen der Haltung des SS- Mannes, der die Schönheit der Gefangenen fotografisch einfängt und dem Meßbildverfahren, das dazu taugt, Bauwerke, für den Fall der Zerstörung, rekonstruieren zu können. So gelingt eine Vergegenwärtigung des Vergangenen.

H.F.: Man muß es sich so vergegenwärtigen: Hannah Arendt fand Eichmann lächerlich, sie mußte über ihn lachen. Die Leute heute, die die Massenvernichtungswaffen gebaut haben und die jetzt an SDI arbeiten, sind nicht einmal Ideologen wie Eichmann. Sie sind nicht einmal lächerlich. An uns richtet sich die Frage, warum wir nichts gegen die Vernichtungswaffen tun, die es heute in unserer nächsten Nähe gibt. Damals wurde Auschwitz nicht bombardiert, es wurde nicht gehandelt, wo handeln wir heute nicht? Die Amerikaner sagten, sie müßten zuerst den Krieg gegen die Nazis gewinnen. Wir handeln wie die Amerikaner 1944: Wir brauchen unsere Kraft für etwas anderes. Für was?
(Interview:Stefan Reinecke)

Sehen und aufklären
Harun Farockis Essayfilm "Bilder der Welt und Inschrift des Krieges"
...Im Glücksfall heißt dieser Regisseur Harun Farocki und kann sich dieser Logik so lustvoll und klug, so subversiv wie dezidiert bedienen, daß die Strukturen der (Film)-Illusion sichtbar werden, ohne die raffinierte, halbdokumentarische, essayistische Struktur seines eigenen Films gesprengt und etwa dem "unfilmischen"" nur" kommentierenden Wort die Arbeit an und mit den Bildern überantwortet würde... Farockis Arbeit ist eine komplizierte Umgehung der Simulation: Sie zielt auf die Reflexion der Simulation.Farockis "Macht"beruht dabei auf der Kenntnis scheinbar akausaler und disparater historischer Ereignisse und Überlieferungen, die er miteinander in Verbindung bringt, ohne sie deshalb gleichzusetzen. Mittel dieser zwanglosen und doch zum Denken in Gegensätzen zwingenden Filmästhetik ist eine äußerst skrupellose Montagetechnik. Die Bilder selbst:Vor-Bilder, Zwischen-Bilder zunächst. Eine Skizze von Dürer, in der sich zur Erläuterung des Sehvorgangs in einem Auge Strahlen bündeln. Die Gesichter algerischer Frauen, die 1960 zum ersten Mal, zudem ohne Schleier, fotografiert wurden. Die Innenräume einer Kunstakademie, in der unterschiedliche Ansichten eines Aktmodells entstehen. Das Antlitz einer Frau, das sich beständig verändert, weil es nach dem schablonen-und collagenartigen Verfahren einer Täterbeschreibung zum Phantombild wird, in dem sich Bruchstücke anderer Frauengesichter überlagern. Die Gemeinsamkeit dieser Bilder: Sie tehen in einer Assoziationskette, deren Verlauf im Kopf des Betrachters Fragen nach dem Verlust der Intimität, des Ausgeliefertseins an den Erfassungsdienst der Kamera, der vergeblichen Illusion von Identität nach sich zieht. Das Fremde und Vereinzelte der Bilder: Sie entwinden sich der eindeutigen Einordnung. Es gilt, die isolierten Assoziations-und Argumentationsstränge dieser bildlichen "Richt-Linien" des Films zu sehen, bevor sie sich im Auge zu einem Gesamteindruck des Films bündeln. "Aufklärung", so der Kommentar " ist ein Wort aus der Geistesgeschichte". Und ein wenig päter: "Aufklärung ist ein Wort aus der Militärsprache. Oder der Sprache der Polizei. "Von der zerstörerischen Ambivalenz, die ein Wort entfalten kann, ind auch die Bilder betroffen. Der Ort, an dem für Farocki die Inschrift des Krieges in den Bildern der Welt sichtbar wird, ist Auschwitz. Sein Film zeigt drei Bildebenen von Auschwitz. Drei extreme Standorte, von denen aus und aus denen sich die Struktur der Grausamkeit ablesen läßt. Da ist die Photographie eines SS-Mannes, der eine Frau auf dem Weg ins Lager aufgenommen hat. Die Kamera des SS-Mannes hat eine Frau fixiert, die ermordet werden wird. Dann sind da die Zeichnungen von Alfred Kantor, der Auschwitz überlebte und "naturgetreu" rekonstruierte. Wenn die Wege der Photographie so leicht zur Mittäterschaft führen wie zur Zeugenschaft, was bleibt den Opfern? Die Simulation einer höllischen Simulation. In Auschwitz war die Gaskammer als Duschraum eingerichtet, die Wagen, in denen Zyklon B antransportiert wurde, trugen die Zeichen des Roten Kreuzes. Kein Zeichen, kein Wort, kein Bild, auf das Verlaß ist. Aus einem dritten Blickwinkel sieht man Auschwitz aus der Draufsicht. Aus 7000 Meter Höhe nehmen sich die Deportierten vor den Krematorien wie eine Blutspur aus. "Die Photographie, die das bewahrt, und die Bombe, die zerstört, das drängt im Zweiten Weltkrieg zusammen. "Aber die Bombe fiel nicht auf Auschwitz. Die Luftaufnahmen der Alliierten entstanden nur durch ein Versehen. Weil die Besatzung das Gelände der IG Farben aufspüren wollte und nicht das Lager, fand sie es auch nicht. Auch später, als zwei Augenzeugen entkommen konnten und die Alliierten verständigten, wurde das KZ nicht bombardiert. Seit dem 4.April 1944 hatten die Alliierten ein Bild von Auschwitz. Aber sie machten sich keins von den Qualen der Verschleppten.
Heike Kühn in Frankfurter Rundschau 13.5.89


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