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Kritik aus Tip zu "NO EXIT" vom 12.2.2004

Nico, Conni, Bibi, Fischi und Andre sind Kameraden. Das, was sie verbindet, ist außer gemeinsamen Erfahrungen in einem brutalen Milieu, wo Misshandlung, schwere Körperverletzung und sogar Totschlag zur Realität gehören, die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Werten wie Treue, Freundschaft und Geborgenheit. Nur in der Gruppe, in der "freien Kameradschaft", sind sie ganz bei sich selbst, können sie ihre verpasste Kindheit noch einmal nachholen.
Doch ihre Träume von gesellschaftlicher Akzeptanz scheitern auch hier. Mühsam buchstabieren sie sie sich durch das Schulungsmaterial der NPD, stolpern über Begriffe wie "nationale Identität" und können sich auch über die politischen Inhalte nicht einig werden. Ihre Transparente gegen "Kinderschänder" enthalten Recht-schreibfehler, und ein Liederabend im Altersheim erregt nur deshalb keinen Widerspruch, weil die Zuhörer vermutlich taub sind.
Dies ist kein Film, der aus Neonazis Monster macht, kein Gruselfilm mit marschierenden Uniformträgern und grölenden Skinheads, sondern das facettenreich und einfühlsam gezeichnete Porträt einer Gruppe Jugendlicher aus Frankfurt /Oder, denen schon der Versuch auf nationales Heldentum mißlingt. Dennoch klammern sie sich an die Gruppe, weil es der einzige Halt in einem trostlosen Leben ist, das aus Enttäuschungen und Demütigungen besteht. Fast möchte man Verständnis und Mitgefühl aufbringen, da wird einem auch die Gefahr bewußt, die von diesen Dropouts droht: Fast beiläufig kommentiert einer der Protagonisten den grundlosen Angriff auf einen der Jugendlichen, den er dabei schwer verletzte: Nein, Reue empfinde er nicht. Das könne ihm schließlich genauso passieren. Da hätte derjenige eben Pech gehabt. Es sind diese Momente voller Hoffnungslosigkeit, in denen "No Exit" neben Mitleid auch Entsetzen produziert.
Karl Hermann


Für ihren Dokumentarfilm "No Exit" hat sich die Regisseurin unter Neonazis begeben. Dabei stieß sie auf stark vernetzte Kameradschaften, den langen Atem der nationalen Szene und verhinderte Medienstars.Woher rührt Ihre Faszination für rechtsextreme Jugendliche?
Franziska Tenner: Ich bin in diesem Land und mit dieser Generation groß geworden.
Ich bin in Schwedt aufgewachsen, und ich kenne diese brutalen, rabiaten Umgangs-formen. Das ging schon in den Achtzigern los. Bei mir in der Schule sind innerhalb eines Jahres acht Leute in meinem Alter in den Knast gegangen. Diese Jugendlichen hätten also meine Bekannten sein können. Und ich versuche einfach nur zu beobachten, was aus ihnen wird. Meine Eltern tolerieren dies übrigens weniger. Die haben Angst, dass ich denen eine Plattform gebe.

Wie entsteht der erste Kontakt zu einer rechten Kameradschaft? Die stehen ja nicht im Telefonbuch...
Franziska Tenner: Man muß sich erst mal ohne Kamera und ohne Team mit ihnen trefffen und eine ganze Weile mit ihnen reden, Vertrauen aufbauen. Aber anderer-seits wollen sie auch die Öffentlichkeit: Sie träumen davon, Superstars zu werden, auf ihre Art und Weise. Der Nico hat mich mal gefragt, ob ich Hasselbach kenne. Die sehen diese Medienstars und wissen, dass so etwas funktioniert. Auch Kühnen war ja ein negativer Medienstar. Und diese Rolle war etwa bei Nico eine große Hoffnung.

Wie weit funktioniert das gegenseitige Vertrauen bei so einem Projekt? Gibt es da gefährliche Situationen?
Franziska Tenner: Da gab es einen Artikel über die erste Vorführung bei den IG Medien in Frankfurt. Und darauf hat die rechte Szene ziemlich sauer reagiert. Nicht auf mich, sondern auf ihre eigenen Leute. Das, was wir gemacht haben, war ja ein Blick hinter die Kulissen, der für die Rechten eher peinlich ist, weil er das Eigenbild zerstört, das sie von sich aufgebaut haben. Doch wenn jetzt etwa Nico, um seinen Ruf zu retten, die Sache so dreht, dass ich angeblich gegen Absprachen verstoßen habe, ihn quasi verrraten habe, dann kann die Sache auch für mich kritisch werden. Doch im Augenblick traut er sich selber nicht nach Frankfurt. Und auch die anderen dürfen nicht mehr in die Szenediscos.

Gibt es da ein Bewußtsein für die eigene Trostlosigkeit, für diesen grenzenlosen Dilettantismus in ihrem Leben?
Franziska Tenner: Sie spüren es, aber es ist schwer, die Wahrheit darüber anzunehmen – und deswegen sind sie auch so aggressiv. Doch die Strukturen ihrer Kindheit, woher das alles kommt, das kennen sie sehr genau. Erst ist das übliche Schenkelklopfen angesagt und dann wird es ziemlich beklommen, wenn sie plötzlich über ihre Familie reden müssen.

Ist das eher Mitleid oder vielleicht auch Hohn, der sich berechtigterweise bei einigen jugendlichen Zuschauern breit machen wird?
Franziska Tenner: Hoffentlich doch wohl eher ein Lachen, das im Halse stecken bleibt. Für mich wäre es wichtig, dass sich die Zuschauer auch wiedererkennen.

Was für ein Typ ist dieser Nico? Einerseits Protagonist der NPD und dann auch wieder sanfter Liedermacher ...
Franziska Tenner: Der will sich nach oben treten, raus aus dem Milieu seines Vaters, wo Alkohol und Arbeitslosigkeit bestimmend sind – und er will natürlich auch mit Politik Geld verdienen und mit der Musik, was vielleicht sogar funktionieren kann. Der ist zäh, der ist jung und hat einen langen Atem. Dafür geht er dann auch ins Altersheim, um dort seine Rennicke Lieder (Frank Rennicke ist Liedermacher der rechten Szene, die Red.) zu singen.

Ist das ein neuer Trend in der Szene? Weniger Aufmärsche, dafür mehr Sozialarbeit im Kleinen. Ist das schon das Ende der Organisation?
Franziska Tenner: Nein, die Kameradschaften sind untereinander sehr vernetzt, gerade an der Odergrenze, Frankfurt, Guben, Eisenhüttenstadt. Aber die holen sich heute ihr Feedback aus sozialen und anders getarnten Aktivitäten. Wenn da viele Leute – und nicht nur welche mit rechter Gesinnung – ihre Liste gegen Kinderschänder unterschreiben, dann ist das natürlich auch ein Erfolg. Viele Rechte nutzen heute kommunale Freiräume, da wo sich die Gesellschaft zurückgezogen hat, organisieren Kinderfeste, geben Schülerzeitungen heraus.

Ist das rechtsextreme Weltbild da oft nicht nur noch eine Pose, um Aufmerksamkeit herzustellen, hinter der sich ein ganz anderes Bedürfnis verbirgt?
Franziska Tenner: Ja, vielleicht ist das der Unterschied zu früher. Damals, vor zehn Jahren, suchte man die Gruppe, heute die Familie. Doch diese Sehnsüchte können sie außerhalb der Gruppe nicht realisieren. Diese ganzen Versuche, eine Familie aufzubauen oder nur eine positive Beziehung einzugehen, gehen meistens schief.
Ich frage Nico in dem Film, was für ihn Liebe ist, und er kann es nicht beschreiben, er weiß es nicht. Er hat für positive Gefühle wie Liebe, Leidenschaft, Vertrauen keine Worte. Er kann nur die negativen Gefühle beschreiben: Hass, Wut, Angst. Und da wird er dann auch sehr emotional.

Was glauben Sie, was man mit diesem Film erreichen kann?
Franziska Tenner: Eine Entwicklung aufzuzeigen, die eher im Stillen abläuft. Die Öffentlichkeit interessiert sich nur, wenn Gewalt im Spiel ist. Davon wird sich distanziert, aber mit dem Rest hat man kein Problem, etwa woher diese latente Gewaltbereitschaft kommt. Und da hat auch die Szene kapiert, das sie das nicht weiterbringt. Auch Nico sagt, man muss die Jugendlichen von der Straße holen. Und das tun die freien Kameradschaften.

Interview zu "No Exit" von Franziska Tennner, geführt von Karl Hermann im Tip-Berlin (Ausgabe 04/04)


highlights: sehenswert (Tip-Berlin)
...
Franziska Tenners Dokumentarfilm über eine ”freie Kameradschaft” in Frankfurt/ Oder ist das facettenreich und sensibel gezeichnete Porträt einer Gruppe von rechtsextremen Jugendlichen, deren auswegslose Situation typisch für die Generation Ost ist.

Kritik von Martin Schwarz in "Zitty" 5/2004

Rechtsradikale Sehenswert

No exit

"Mein Sohn ist ein kleiner Nazi", sagt der Vater. "Na, so klein bin ich auch wieder nicht", antwortet Nico. Der ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 22 Jahre alt und Oberhaupt der "Freien Kameradschaft Frankfurt/Oder". Akkurat gekämmter Scheitel,
höfliches Auftreten, Beruf: Versicherungsvertreter. Zur "Fortbildung" zeigt Nico am Kameradschaftsabend "Kolberg" von Veit Harlan oder ein Video über die Wikinger. Auf der Straße engagiert sich die Gruppe für härtere Strafen bei Kinderschändern.
Oder Nico geht mit seiner Gitarre ins Altersheim und singt dort etwas vor. Soziales Engagement: Das kannte man bislang von Neonazis kaum.
Ein Jahr hat Franziska Tenner Nico und seine Kumpels mit der Kamera begleitet. Entstanden sind interessante Porträts über ihn, den 19jährigen Skinhead Bibi und der zweifachen Mutter Conny. Wir erfahren viel über Lebensumstände, politische Einstellungen, Reibereien innerhalb der Gruppe. Und doch erliegt die Regisseurin nie der Versuchung, das Treiben der Kameradschaft zu verharmlosen. Alleine das selbstverständliche Benutzen von Wörtern wie "Rasse" jagt einem so manchen Schauer über den Rücken. Und gegen Ende erfahren wir, dass Bibi ohne Grund
einen jungen Mann übel zusammengeschlagen hat und zu 16 Monaten Knast verurteilt wird. Seine Meinung dazu: "Bereuen tu ich nichts." Dem ist nichts hinzuzufügen.



Filmkritik zu "No Exit" in der TAZ vom 19. Februar 2004

Eigentlich ganz traurig
von Jan Distelmeyer

Franziska Tenner hat einen Dokumentarfilm über drei junge Neonazis in Frankfurt-/Oder gedreht. "No Exit" sucht die Nähe zu seinen Protagonisten, verliert aber den politischen Aspekt aus den Augen.
Ob er sich vielleicht wenigstens noch ein klein wenig beherrschen könnte, wär ja auch gleich vorbei. Vielleicht liegt es ja daran, dass die interne Vorführung von "Kolberg", Veit Harlans eigentlich nur als kommentierte Fassung zugelassenem NS-Endsieg-Propagandafilm von 1944, schlicht etwas lang geraten war. Oder an der ungemein miesen Qualität der Videokopie. Jedenfalls läßt in der Gruppe die Konzen-tration etwas nach.
So recht will die Diskussion um das "Outen zu Deutschland" nicht in Gang kommen.
Selbst die Ermahnung des Skinheads auf dem Sofa – "Bibi, ’nen bischen noch!" – verpufft.
Insgesamt wirkt die politische Schulung der "Freien Kameradschaft Frankfurt/
Oder" ungefähr so engagiert, wie die Religionsstunde eines verordneten Bildungs-kurses der Bundesagentur für Arbeit ablaufen würde. Man weiß schon, was Kame-radschaftsführer Nico hören will, möchte wol auch gern an die völkisch-nationale Revolution glauben, aber na ja, wird damit wohl doch nichts demnächst.
Hier treffen wir alle drei Protagonisten, die Franziska Tenner in ihrer Dokumentation "No Exit" vorstellen wird. Ein Jahr lang hat sie den damals 22jährigen Nico, die 28jährige Conny und den 19jährigen Bibi durch Frankfurt/Oder begleitet. In zwei Grundschritten nähert sich "No Exit" ihnen: Mal ist die Kamera als stiller Beobachter bei Treffen, Schulungen oder Demonstrationen anwesend; mal wird direkt das Gespräch gesucht.
Mit "Nähe suchen" könnte man das zentrale Programm der Langzeitstudie über-schreiben. Um persönliche Begegnungen mit Rechtsradikalen soll es gehen, bei der sich alle drei, wie Franziska Tenner sagt, "tief in ihre Seele" schauen ließen. Nico ist als NPD-Mitglied die treibende politische Kraft der kleinen Grupppe, organisiert die Schulungen, wehrt sich gegen die Behauptung seines Vaters, Hitler sei in Wahrheit selbst ein Halbjude gewesen, und singt, wenn man ihn lässt, selbst verfasste Liebes-lieder vor:"Denn deutsche Mädchen fndest du in Deutschland kaum / drum ist sie für mich ein deutscher Mädeltraum."
Bibi findet Nico etwas "machtgeil" und gibt sich eher als eine Art unpolitischer Neonazi mit Durchdrehpotential. Am Ende muss er in den Knast, weil er einen anderen 19jährigen zusammengeschlagen hat. Da sitzt der neue Freund von Conny schon, die allein zwei Kinder großzieht und panische Angst hat vor der Rückkehr ihres Exmannes. Der war, wie wir erfahren, marokkanischer Asylbewerber, gewalt-tätig, unberechenbar, und bevor Conny von selbst erzählt, dass sie deshalb zu den Faschisten gestoßen ist ("ein deutscher Mann würde sowas nicht tun"), holt sich Franziska Tenner diese Erklärung ab:"Hat diese Erfahrung damit zu tun, dass du jetzt rechts bist?"
Abgesehen davon, dass hier ja kein bekenndes CSU-Mitglied interviewt wird, formu-iert sich an dieser Stelle ein grundsetzliches Problem des Films: Die bekannten An-worten sind immer schon da. Während "No Exit" die Unfähigkeit Einzelner dokumen-tiert, die eigene rechtsradikale Ausrichtung öffentlich zu formulieren, geht es anderer-seits um biografische Hintergründe und psychologische Dispositionen, die alles zu erklären scheinen. Nico wurde als Kind von der Mutter verlassen, der arbeitslose Vater hat sich neben seiner Wut auf "Göring, die fette Sau," und "die Neger" oder "die Kameltreiber" damit abgefunden, "dass Nico ’nen kleiner Nazi ist."
Conny scheut quasi als gebranntes Kind nun das ausländische Feuer, und Bibi wird im Gespräch am Ende gefragt, ob er manchmal an Selbstmord denke und es nicht sein könne , "dass du eigentlich ganz traurig bist".
Bis zum Ende erfahren wir wenig über die Haltungen und Ziele der "Freien Kamerad-schaft Frankfurt/Oder", als ob man es beruhigt bei den hingestotterten Erklärungen in der Einkaufszone belassen önne:"Sicherlich haben wir auch national denkende Men-schen in unsrern Reihen." Klarer hingegen entwirft sich das Bild einer tristen verarm-ten Stadt, in de junge Menschen wie automatisch "rechts" werden.
Nach der Vorführung des Films, berichtete Franziska Tenner, habe Nico sie gefragt, warum sie keine seiner politischen Statements verwendet habe. "Es hat mich nicht interessiert, war meine Antwort." Dieselbe Haltung spricht auch aus "No Exit". Und stellt damit die Frage, warum es hier eigentlich überhaupt um Rechtsradikale geht.


Filmtip aus "Ticket" im Tagesspiegel

EINS AUFS MAUL
Neonazis in Frankfurt an der Oder: "No Exit"
Diese Neonazis sind sogar zu blöd, ein Transparent zu malen. Die Mitglieder der "Freien Kameradschaft" bereiten eine Demo gegen Kinderschänder vor – den Schreibfehler auf ihren Bettuch bemerken sie aber erst auf der Straße. Franziska Tenner, geboren 1972 Thüringen, hat die Nazis aus Frankfurt/Oder ein Jahr lang mit der Kamera verfolgt. Wir sehen sie rauchen, tapezieren, Dosenbier saufen, rumsitzen und über "nationale Fragen" diskutieren. Nico von der NPD versucht die Trupppe auf Parteikurs zu bringen, was aber nicht gelingt. Vor begeisterten Alten singt er seine Naziliedchen im Altersheim. Tenner, die selbst einige Jahre in Frankfurt gelebt hat, macht es uns nicht ganz leicht, diese Typen in ihren Londsdale-Shirts einfach zu hassen. Sie hat die Faschos als Menschen porträtiert: Nico (22, Versicherungsvertre-ter), Conny (28, allein erziehende Mutter) und Bibi (19, Schläger). Die Nähe zu den Protagonisten erschwert uns die Kategorisierung. Wie werden spießige Normalbür-ger zu Neonazis? Verharmlost wird nichts. Tenner interviewt sogar ein Opfer, das von einem aus der Gruppe übel verprügelt wurde. Der Täter kennt kein Mitgefühl. Auch ihn habe man schon zusammen geschlagen. "Man muß auch einstecken können." Wegsperren allein löst das Problem nicht, das macht der Film deutlich.
Andreas Becker
Aufschlussreiche Doku.



Filmtip aus "Ticket" im Tagesspiegel

EINS AUFS MAUL
Neonazis in Frankfurt an der Oder: "No Exit"
Diese Neonazis sind sogar zu blöd, ein Transparent zu malen. Die Mitglieder der "Freien Kameradschaft" bereiten eine Demo gegen Kinderschänder vor – den Schreibfehler auf ihren Bettuch bemerken sie aber erst auf der Straße. Franziska Tenner, geboren 1972 Thüringen, hat die Nazis aus Frankfurt/Oder ein Jahr lang mit der Kamera verfolgt. Wir sehen sie rauchen, tapezieren, Dosenbier saufen, rumsitzen und über "nationale Fragen" diskutieren. Nico von der NPD versucht die Trupppe auf Parteikurs zu bringen, was aber nicht gelingt. Vor begeisterten Alten singt er seine Naziliedchen im Altersheim. Tenner, die selbst einige Jahre in Frankfurt gelebt hat, macht es uns nicht ganz leicht, diese Typen in ihren Londsdale-Shirts einfach zu hassen. Sie hat die Faschos als Menschen porträtiert: Nico (22, Versicherungsvertre-ter), Conny (28, allein erziehende Mutter) und Bibi (19, Schläger). Die Nähe zu den Protagonisten erschwert uns die Kategorisierung. Wie werden spießige Normalbür-ger zu Neonazis? Verharmlost wird nichts. Tenner interviewt sogar ein Opfer, das von einem aus der Gruppe übel verprügelt wurde. Der Täter kennt kein Mitgefühl. Auch ihn habe man schon zusammen geschlagen. "Man muß auch einstecken können." Wegsperren allein löst das Problem nicht, das macht der Film deutlich.
Andreas Becker
Aufschlussreiche Doku.


Berliner Morgenpost : Berlin – Live vom 19.02.2004
Am rechten Rand
Studie über Neonazis: Franziska Tenners "No Exit"

Von Matthias Heine
Franziska Tenners "No Exit" ist weniger einer der üblichen alarmistischen Dokumentarfilme über den rechten Rand, sondern vielmehr eine Studie über arme Würstchen. Unter der Karnevalsmaske des Neonazitums verbergen sich höchst unterschiedliche Menschen mit sehr verschiedenen, oft ganz privaten Gründen für ihre Unzufriedenheit. Der neue Faschismus bietet ihnen vor allem eine Rhetorik, mit der sie ihre Wut, Angst und Sehnsucht artikulieren können, ohne allzu genau von ihrem persönlichen Schmerz und ihrem Versagen erzählen zu müssen.
Die Regisseurin hat sich drei sehr unterschiedliche Mitglieder einer "Freien Kame-radschaft" in Frankfurt/Oder genauer angesehen. Da ist Nico, der 21 Jahre alte NPD-Aktivist und rechte Liedermacher. Wöchentlich hält er Schulungen für die Kamerad-schaft ab: Einmal wird es fast komisch, als Nico exakt auszurechnen versucht, wie viele Buchstaben auf ein Transparent passen, das härtere Strafen für Kinderschän-der fordert. Ein anderes Mal sehen sie gemeinsam den Nazi-Durchhaltefilm "Kolberg" an, der ausgerechnet auf "arte" mitgeschnitten wurde.
Doch zunehmend schlägt Nico Misstrauen entgegen, weil er "machtgeil" sei und weil Leuten wie dem 19jährigen Bibi und der 28 Jahre alten Conny die Schulung schon zu sehr nach Schule riecht. Bibi ist der Typus des ewigen subproletarischen Schlägers. Zu viel Kraft, zu wenig Ruhe, aber fast sympatisch in seiner Dreistigkeit. Für Conny, die eine desaströse Ehe mit einem Ausländer hinter sich hat, bedeutet die Kamerad-schaft vor allem privaten Rückhalt. Nico wird einmal von seinem Vater daran erinnert, dass er – wie fast alle Brandenburger – slawischer Abstammung ist. Und auch die anderen Menschen, die von Franziska Tenner meist an biederen Couchtischen sitzend gezeigt werden, wirken allesamt so arisch wie eine arabische Großfamilie: Gepierct, tätowiert, Kaugummi kauend, kettenrauchend und in Hemden von Fred Perry oder Londsdale repräsentieren sie die traurige Schizophrenie ihrer Bewegung. Man möchte Typen wie Bibi nicht im Dunkelen begnen, aber der Film weckt trotzdem eher Mitleid mit jener schwer definierbaren Klasse von Ziel- und Haltlosen, die es wahrscheinlich zu allen Zeiten gegeben hat. Der moralische Zustand eines Gemeinwesens zeigt sich darin, ob es solche Menschen einfach als verloren abschreibt oder sich wenigstens noch um sie bemüht.