Die Abwesenheit
Ein Film von Peter Handke

Stab:
Buch und Regie: Peter Handke
Kamera: Agnès Godard
Ton: Jean-Paul Mugel
Ausstattung: Marie-Josée Branco
Schnitt: Peter Przygodda

Darsteller:
Die Frau des Schriftstellers Jeanne Moreau
Der Soldat Alex Desca s
Der Spieler Bruno Ganz
Die junge Frau Sophie Semin
Der Schriftsteller Eustaquio Barjau
Produktion: Paulo Branco/Gemini Films
(Frankreich) in Coproduktion mit Wim Wenders und Ulrich Felsberg/
Road Movies (Deutschland),Adrian Lipp/Marea Filmes (Spanien) und dem WDR (Deutschland)

BRD 1992 112 Min.,Farbe,OmU 35mm,Format 1:1,37
französisch,englisch,spanisch mit deutschen Untertiteln und deutsch

Der Film von Peter Handke ist ein Märchen.
In diesem Märchen sind die Landschaften gleichzeitig klar und labyrinthisch.Vier Personen,der alte Mann,die junge Frau,der Soldat und der Spieler bewegen sich in einer phantastischen Geographie durch den Kontinent.Sie entfliehen ihrer täglichen Existenz.Ein jeder macht sich allein auf den Weg;dann treffen sie aufeinander,bilden eine Gruppe,die sich weiterbewegt wie eine Expedition.Plötzlich dann stoßen sie auf eine Lichtung,eine Stadt,eine Wüste,das Meer. Durch ihre Gespräche,ihre Reden und Gegenreden,Monologe und Träume erzählen sie die Geschichte. Eines Tages ist der Alte Mann verschwunden,er,der die Gruppe angeführt hat.Was noch bleibt,ist die Suche und das Fest der Abwesenheit."Die Abwesenheit"erzählt das Märchen der Realität,ist eine Forschungsreise hin zum Märchenhaften der Welt,eine Abenteuergeschichte,ein Western für das Ende des 20.Jahrhunderts, immer noch im Monument Valley.

Peter Handke zu seinem Film:
Das Erzählen dieses Filmes ist für mich nicht viel anders,als das Erzählen beim Schreiben.Mir kam es jedenfalls vor,daß ich vor allem bei diesem Film,gespürt hab,daß ich einen Lakonismus mit Bildern erreichen kann,den ich,ich weiß nicht warum,im Älterwerden,durch die Sprache nicht mehr erreichen kann.Ich muß mit der Sprache viel mehr,ich sag jetzt absichtlich ein vages Wort:barockisieren,um das Phänomen,das für mich Erlebnis bedeutet hat,zurechtzurücken.Der Film kann sich erlauben,viel lakonischer zu sein.Das war für mich eine große Erfreulichkeit,lakonisch sein zu können im Erzählen der Bilder.
Was ich in der Literatur nicht schaffe.Und ich dachte mir für die Schreibarbeit danach,daß es mir dienlich sein könnte,was ich mit dem Film erlebt habe,aber ich habe es dann nicht anwenden können. Woran das liegt,weiß ich nicht.Ob das an der eigenen Biographie liegt,oder an der Zeit?Oder überhaupt an der Historie der Literatur,daß dies Lakonische,was im ilm möglich ist,mir in der Literatur,kurz gesagt: als affig erscheint.Der Lakonismus schafft die Phänomene inzwischen nicht mehr in der Sprache,wohl aber in der Kombination von Sprache, Bildern und Geräuschen,wie es der Film kann.

Aus einem Gespräch:
Wim Wenders: Warum hast Du das Buch verfilmt?
Peter Handke: Ich hatte vorher schon, im Anfang der Geschichte,im Ursprung,diese als Film gesehen.Und ich hatte mich dann dran gemacht,das Drehbuch zu schreiben für einen Film,und kam aber nach den ersten Seiten in eine Erzählung hinein,aus der ich bis zum Ende nicht mehr herauskam. Es war die Geschichte als Film gedacht.Und ich dachte mir,indem ich daraus ein Buch gemacht hab,hätt ich fast etwas verhaut.Das Anfangsbild des Films,das ich gesehn hab,das hat mich beschäftigt. Und drei Jahre nach der Geschichte hab ich dann so halbwegs ein ordentliches Drehbuch geschrieben,weil ich gedacht hab,das muß in Bildern erzählt werden.Und es ist ein Fehler gewesen,die Geschichte nur mit Sprache zu erzählen.So kam das.Das ist sehr vereinfacht erzählt.So wie die ganze Geschichte,wie sie in mir entstand,sofort eigentlich ein Film war,indem sie aus einer Zeitungsnotiz kam,wo eine japanische Familie,die in Europa unterwegs war,ihren Vater verliert und keines der Kinder spricht eine der Sprachen hier.Und die Polizei und alle,die für's suchen professionell sind,geben dann die Suche auf quer durch Europa,und die zwei Söhne bleiben dann in Europa und machen sich auf zwei verschiedenen Wegen auf,um den verschollenen Vater zu suchen.Das war eine Zeitungsnotiz,die ich gelesen habe,und am Ende finden sie den Leichnam an einem Bahndamm,der von Paris nach Mailand führt.Diese Geschichte,hab ich gedacht,ist ein Film. Über die Jahre wurde eben so eine abstrahierte Geschichte daraus,wie es "Die Abwesenheit"ist.Die Familie entschwand,und es blieb eine Gruppe von vier Leuten,die in der Landschaft verlorengehen.

Wim Wenders: Ich merke das auch an dem Film,daß er nicht sozusagen nach dem Buch entstanden ist,sondern auch vor dem Buch schon Film war.
Peter Handke: Als ich das Drehbuch geschrieben habe,drei Jahre nach der Erzählung, habe ich das Buch nicht zur Hand genommen,um das Drehbuch zu schreiben,ich habe das sozusagen auswendig nachgeschrieben,bis auf die Leier des Alten auf die Stille,die hab ich mir dann aus dem Buch durchtelefonieren lassen,aber sonst hab ich auswendig nachgeschrieben,oder neu geschrieben.Natürlich hab ich mich im Drehbuch weniger Gehen lassen ,auch im Wortsinn,weniger Gehen lassen als in der Geschichte,ich hab vieles weggelassen,was ich nicht vor mir sah,als ich das Drehbuch schrieb.Ich wollte immer heraus aus der Geschichte,die schon einmal geschrieben war,um die zu ändern, aber ich kam aus dem einmal Geschriebenen nicht mehr heraus.Und insofern folgt das Drehbuch doch dem,was ich schon vorher als Geschichte geschrieben hatte.Ich wollte heraus,und konnte eigentlich am Ende nur noch hinzufügen,was hinzugefügt ist.Was hinzugefügt ist,ist die Episode des Suchens nach dem alten Mann und die Schmährede seiner Frau am Ufer des Meeres.Sogar selbst das Hinzufügen kam mir fast manchmal,im Schreiben des Drehbuches,als etwas Überflüssiges vor,als ob es schon erzählt wäre mit dem Verschwinden des Alten.Und als ob die Geschichte zu Ende wäre in dem Moment,als der Soldat seine Rede hält:Wir müssen uns jetzt auf die Suche machen.Und da hab ich mich fast zwingen müssen,im Drehbuch das noch weiter zu erzählen,bis zu dem Moment,wo Jeanne Moreau dann ihre Sache erzählt.Da hab ich mir fast selber einen Tritt versetzen müssen,um das zu erzählen. ...Ich denke oft,wir müssen alle mit den Berührungen und Bewegungen nicht gerade neu anfangen,aber vielleicht anders umgehen.Und der Film trägt dem Rechnung.Ich wollte nur sagen,die vier sind nicht "isoliert".Ich sehe sie nicht als isoliert,sondern indem sie sprechen, vor allem indem sie einander erzählen,öffnen sie einander.Es gibt ja keine schönere Kommunikation als einander zu erzählen....
(Das Gespräch führte Wim Wenders mit Peter Handke nach der Premiere des Films am 26.01.1994 in der Akademie der Künste Berlin)

Pressestimmen:
"Eine wunderbar fragile Stimmung strahlt dieser Film aus,eine poetische Mischung aus konkreter Präsenz und somnambulem Zauber.
Mal möchte man einfach den Landschaften nachsinnen,die Handkes Protagonisten durchwandern,der Aura all dieser Bäume,Wiesen und Felder,dieser kurzen Anhöhen,dieser weiten Ebenen zwischen Südfrankreich und Nordspanien.Mal möchte man am liebsten die Augen schließen und den Worten lauschen,die -anders als sonst im Kino -nie eine Handlung stiften,eher eine spontane Laune formulieren oder einen alten Traum oder eine zu lange unterdrückte Erinnerung. Und dann möchte man oft auch bloß staunen,wie es da unentwegt ums Ganze geht,aber so beiläufig in Szene gesetzt,als wäre alles ganz zufällig gefügt.Diese Verführung zum lustvollen flanierenden Wahrnehmen,das eher auf Erschütterung eigener Vorstellungen aus ist, nie auf Bestätigung des Gängigen,wirkt in der momentanen Kinosituation wunderlich,ja fremd.(...)Die Brüche im Entwurf sorgen für irritierendes Staunen,wieder und wieder.Nicht zuletzt darüber zielt Handkes Film auf das Äußerste,das im Kino möglich ist:auf das Abwesende im Präsenten,das Unsichtbare im Sichtbaren,auf die Aussage des Ungesagten."
(Norbert Grob,Die Zeit,03.03.1994)

"Die Abwesenheit ist ein Film der langen Einstellungen,der "schönen Bilder"und vieler,vieler Worte.Unbekümmert psalmodieren die portugiesischen,französischen und deutschen Schauspieler in ihren jeweiligen Muttersprachen,ohne sich je zu erkundigen,ob ihr Redeschwall für den Gesprächspartner verständlich ist.Stärker könnte Peter Handke kaum deutlich machen,daß es ihm nicht um eine vorgespielte Kommunikation zwischen den Protagonisten geht,nicht um die Illusion einer hergebrachten Kino-Handlung und der damit verbundenen Identifikation.Vielmehr korrespondiert die Archaik der Sprachen mit der der Landschaften und schafft in Beziehung zum Zuschauer/-hörer einen eigenständigen Kunst-Raum.Zusätzliche Verfremdung bringen die von Handke autorisierten Untertitel.Dieses Spiel mit den Versatzstücken der Wahrnehmung produziert für den, der sich darauf einzulassen vermag,auch immer wieder Leerstellen und Freiräume und wird so zum reizvollen Experiment der Sinne."
(Claus Löser,film-dienst,10.05.1994)

"(...)daß Mißverständnis,Handke stilisiere seine Werke in einer Art Zeitlosigkeit,dem sozialen Kontext völlig enthoben,wird in Die Abwesenheit spielerisch unterlaufen.In einer spezifischen Sprechweise ist das Massaker auf dem Pekinger "Platz des Himmlischen Friedens" ebenso gegenwärtig wie der Krieg in Jugoslawien;ja,mit dem Hinweis auf diesen Krieg endet der Film,hier bekommt der Schlußmonolog von Jeanne Moreau einen Akzent,der auf eine Entwicklung Handkes Werk überhaupt hinweist.Seine ästhetisch immer bewußte Zeitgenossenschaft wird im Aktuellen verortet."
(Helmut Böttiger, Frankfurter Rundschau,29.01.1994)

"Fern von allem Alltag,poetisch,philosophisch und als Film nicht zu beschreiben ist "Die Abwesenheit"von Peter Handke.Es ist ein Film wie ein Gedanke in Wörtern und Bildern,über eine Reise und Wanderschaft von vier Personen,und dann,als eine von ihnen verschwunden ist,ein Film über die Suche.So beredt sie sind,der Schriftsteller,der Spieler, die junge Frau und der schwarze Soldat,Dialoge kann man nicht nennen,was sie,spanisch,französisch,deutsch,mehr nebeneinander als miteinander führen.Die Sprache ist so deklamatorisch und monolithisch wie die Bilder es sind,von Landschaften,Steinen,Straßen, Bächen,Gräsern und Bäumen im Wind,so unübersetzbar wie die Töne, die fast nur die Schritte der Wanderer sind."
(Peter W.Jansen, Der Tagesspiegel,09.09.1992)


"Hin zur Stille.
Allein in die Stille.
Allein die Stille.
Wo bist du mir,Stille?
Warst immer gut zu mir,Stille.
War immer gut in dir,Stille.
Wurde immer wieder zum Kind mit dir,
Stille,
kam durch dich erst zur Welt,Stille,
bekam in dir erst Gehör,Stille,
wurde von Dir erst beseelt,Stille,
ließ mich belehren allein von dir,Stille,
trat als Mensch zu Menschen allein aus dir,Stille.
Sei mir noch einmal,was du mir warst,Stille.
Umfange mich,Stille.
Greif mir unter die Achseln,Stille.
Bring mich zum Schweigen,Stille,
und mach mich empfänglich,Stille,
nichts als empfänglich,Stille.
Ich schreie nach dir,Stille.
Über alles:du,Stille!
Stille,du Urquell der Bilder!
Stille,du großes Bild!
Stille,du Mutter der Phantasie!"
Peter Handke

Peter Handke, geb.1942 in Österreich, in Griffen, Kärnten, nahe der jugoslawischen Grenze. Vater deutscher Soldat, Mutter Angehörige der slowenischen Minderheit in Österreich. Internatsschüler in einem Jesuitengymnasium. Studium der Rechte in Graz. 1966 veröffentlichte er seinen erster Roman " Die Hornissen". Seitdem zahlreiche Romane, Erzählungen und Veröffentlichungen. Das Buch " Die Abwesenheit" ist 1987 erschienen. Er lebt heute als Schriftsteller in Paris.

Außerdem im Basis-Film Verleih:
1977Die linkshändige Frau
Buch und Regie:Peter Handke
und nach Bücher von Peter Handke
in der Regie von Wim Wenders:
19693 amerikanische LP's
1971Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
1973 Falsche Bewegung

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