Affengeil

Lotti Huber, Rosa von Praunheims große Entdeckung, steht im Zentrum dieses semidokumentarischen Films. Als Jüdin ist Lotti während der Nazi-Herrschaft im KZ gewesen. Nachdem sie freigekauft wurde, emigrierte sie u.a. nach Palästina, Ägypten, Zypern und London. Sie kam erst in den 60er Jahren nach Deutschland zurück. In dem Film erzählt die vor Lebensmut strotzende 77jährige Tänzerin und Schauspielerin aus ihrem bewegten Leben.
„Wir filmten Lotti als Hexe auf einem Besenstiel, und wir flogen nach Kiel und filmten sie vor ihrem Elternhaus und an den Stätten ihrer ersten Liebe.
Lotti spielte eine Doppelrolle als König Faruk und sich selbst in jungen Jahren, wie sie einen rasanten Bauchtanz hinlegt. Sie erzählte, wie sie ihren Bauchnabel mit einer Perle verschlossen hatte, weil der ägyptische König dafür bekannt war, im Nabel seiner Tänzerinnen glühende Zigaretten auszudrücken.“ Rosa von Praunheim
Mit dem Film erschienen auch Lottis Memoiren „Diese Zitrone hat noch ganz viel Saft“, die noch heute erhältlich sind.

Zur Entstehung des Films
„Dieser Film - vielleicht eine Liebesgeschichte zwischen Lotti Huber und Rosa von Praunheim - war nicht leicht fertigzustellen. Vor zwei Jahren fingen wir mit Videos an, insgesamt 30 Stunden; wir hatten ein richtiges Drehbuch - eine Komödie übers Filmemachen sollte es werden -, und wir ließen die Kamera einfach laufen, auch nach den geplanten Szenen, das ist der Vorteil von Video, denn Videobänder kosten fast nichts im Vergleich zu Filmmaterial.
Lotti blühte erst richtig auf, wenn sie dem Team aus ihrem reichen Leben erzählen konnte, und sie überraschte selbst mich mit immer neuen Varianten.
Zur gleichen Zeit tourten wir mit unserem Film „Anita - Tänze des Lasters“ durch die Welt (New York, London, Amsterdam usw.), und Lotti machte danach eine erfolgreiche Live Show, in der sie mit Gesang und Tanz aus ihrem Leben erzählte - sie begeisterte das Publikum durch ihre Vitalität, ihren Humor und ihre Kraft trotz ihres hohen Alters.
Woher nimmt sie trotz ihres schweren Lebens nur ihren Optimismus? Der Film „Affengeil“ beantwortet diese Frage.
„Affengeil“ wurde immer mehr zu einem Film über Lottis Leben. Ich kann mich noch erinnern, wie ich Lotti vor fast 10 Jahren kennenlernte - ich suchte ältere Darstellerinnen für meinen Film „Unsere Leichen leben noch“. Ich machte ein Interview mit Lotti und fragte sie, wie es so meine Art ist, sofort nach ihrem Sexleben - sie zitierte ganz cool Oscar Wilde: Fragen sind nie unanständig - Antworten bisweilen.
aus: Rosa von Praunheim,
Sex und Karriere, 1991

Pressestimmen:
„Endlich, in AFFENGEIL, ist sie die unangefochtene Herrscherin im Lande der unterhaltenden Fürsorge, und Praunheim, eigentlich doch der Meister auf diesem Terrain, ist auf dem Rückzug. Immer wieder versucht er, Präsenz zu zeigen, aber ach, er bekommt rabiate Antworten auf Fragen, die er nicht gestellt hat, und dann ist er still.
Am Schluss der Hofer Vorstellung warf Lotti Huber CDs, LPs und gar ein Printerzeugnis in die Masse der ausgestreckten Hände und erinnerte nachdrücklich daran, dass es etwas zu kaufen gab und gibt. Das aber nähret nur die allgemeine Euphorie, denn eben noch, im Film, hatte sie demonstriert, dass die Verkaufsstrategie eine persönliche Antwort auf eine persönliche Sinn-, Lebens- und Existenzkrise war. Die Kamera zeige den Tresen im Berliner Kaufhaus, und Lotti Huber führt vor, wie sie sieben Jahre dahinter stand, Schnapsproben ausschenkte und für eine Schnapsfirma warb. Sie brach alle Verkaufsrekorde. Damals war sie schon über sechzig. Ihr Mann, der Colonel Huber, war gestorben, und sie hatte nach britischem Recht keinen Anspruch auf Pension oder sonst eine Versorgung. – AFFENGEIL zeigt Lotti Huber, wie sie erzählt. Und tanzt. Und singt. Und sich erinnert. Sie kramt in alten Fotos, sie sucht nach Spuren ihrer großen Liebesgeschichte in Kiel, ihrer Geburtsstadt. Von dort war sie, die Jüdin, mit dem Sohn des Oberbürgermeisters nach Berlin übergesiedelt. Ihr Geliebter, wegen Rassenschande verurteilt, wurde in der Untersuchungshaft erschossen; sie selbst kam ins KZ.
Für Lotti Huber ist diese ungeheuerliche Geschichte kein Schicksalsschlag, der sie hätte zermalmen oder doch zu lebenslangem Leiden verdammen müssen. Sie erzählt davon, als ob es eine von vielen anderen Anekdoten wäre – allein bestimmt, ungebrochenen Optimismus: Lebenswillen zu demonstrieren. Kein Opfer sein! Kein Mitleid wollen! Zuversicht ausstrahlen! - Vielleicht tut der Film AFFENGEIL so gut, weil er das genaue Gegenteil der deutschen Betroffenen- und Wehleidfilme ist. Unvorstellbar, dass jemand auf die Idee käme, im Namen Lotti Hubers, der Betroffenen, den Mund aufzumachen.- Dass es zwar sehr nett, aber auch allzu einfach ist, wie uns der Film über die Liebes-, Tod- und KZ-Szene hinweghelfen will, demonstriert Lotti Huber in diesem Film selbst. Denn einmal, gegen jeden Vorsatz, bleibt sie sprachlos. In einer dokumentarisch gedrehten Park-Sequenz fällt sie aus der Rolle, als ein unbelehrbarer Rentner sie mit antisemitischen Sprüchen vollabert.- Sie wendet sich ab, zutiefst verletzt, hier, an dieser Stelle, ein Opfer. Und niemand kommt ihr zu Hilfe, keiner vom Team, auch der Regisseur nicht.
Vor der Videokamera, auch in einigen 16-mm- Szenen, erfahren wir, wie die Heldin überlebte, in Palästina tingelte, vor König Faruk auftrat, auf Zypern ein Hotel eröffnete, nach dem Krieg in Berlin Benimmunterricht erteilte, Ausdruckstanz lehrte, literarischen Kitsch aus dem Englischen übersetzte.- Als Selbstdarstellung ist AFFENGEIL ein Dokumentarfilm, am Spiel gemessen bietet er ein Höchstmaß individueller Unterhaltung, und trotz allem Gedruckse, ich will es nicht leugnen,: AFFENGEIL schlägt mich in Bann.“
Dietrich Kuhlbrodt

„Lotti Huber, die Göttliche der Berliner Szene, verkündet in Rosa von Praunheims neuem Film frohe Botschaft: den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Mit nicht enden wollendem Jubel bezeugte das Publikum in der Vorstellung, die ich sah, seinen Dank für diese populäre Heilslehre. Ein großes JA! Sich selbst gegenüber, und weggeblasen sind alle Hemmungen, Bedenklichkeiten und (Selbst-) Zweifel. Mut zusprechen, Lebensenergie nutzen, be positive ... Es ist wahr, dass Lotti Huber Antworten weiß, aber keine Fragen hat, und trotzdem sind wir in keiner dieser modischen Lebenshilfe-Institutionen, die Rat geben, wie man sich verwirklicht, Freunde und Geld macht. Denn Lotti Huber vermeidet in AFFENGEIL etwas über Nutzen, Wert oder Ziel ihrer filmlangen Unterweisung zu sagen; es gibt nichts einzuhandeln, wohl aber gilt es, eine Haltung zu übernehmen, nämlich das imponierende Sendungsbewusstsein dieser Hohepriesterin, und das mit dem offensichtlichsten Vergnügen.
Diese menschenfreundliche Lehre der nähe, ertüchtigend für den Alltag, wird von Lotti Huber verkörpert. Nichts trennt die Person von ihrer Berufung.

Regie & Buch: Rosa von Praunheim
Kamera: Klaus Janschewski, Mike Kuchar
Schnitt: Mike Shephard
Musik: Marran Gosov, Thomas Marquard
Produktion: Rosa von Praunheim Film / WDR / SFB

Darsteller: Lotti Huber , Rosa von Praunheim , Helga Sloop, Gertrud Mischwitzky , Thomas Woischning, Hans Peter Schwade

Deutschland, 1990 87 Minuten, 16 + 35 mm