Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Ein Spielfilm von Wim Wenders

ÑEin Mann verliert seinen Job. Danach weiß er nichts mehr mit sich anzufangen. Er trödelt herum. Und hat seine Schwierigkeiten damit. 'Etwas ist mir passiert, daran ist kein Zweifel möglich. Es ist wie eine Krankheit über mich gekommen, nicht wie eine gewöhnliche Gewißheit, nicht wie eine Offenbarung. Versteckt und allmählich hat es sich eingenistet; ich habe mich etwas eigenartig, etwas geniert gefühlt, das war alles.' So beschreibt Jean-Paul Sartre in 'La Nausee' die Situation des Mannes, der von einem Tag zum anderen aus seiner Welt herausfällt, sein Gespür und seine Haltung zu ihr verliert. Es ist zugleich eine genaue Charakterisierung von Bloch, dem Tormann bei Handke und Wenders.

Ein Fußballspiel, irgendwo in der Nähe von Wien. Ein ständiges Hin und Her. Doch Bloch langweilt sich. Einmal verläßt er sogar das Tor, ohne weiter aufs Spiel zu achten. Kurz darauf schaut er, während er sich seine Handschuhe anzieht, für einen längeren Augenblick nur auf seine Hände. Als er dann aufblickt, fällt ein Tor. Er greift dabei nicht ein. Er sieht nur zu, wie der Ball über die Linie rollt. Seine Reaktion danach: Er beleidigt und beschimpft den Schiedsrichter, der ihn sofort vom Platz stellt. Darüber ist Bloch nicht wütend, nur verdrossen. Er geht in die Kabine, kleidet sich um und fährt mit der Tram in die Stadt. Da tut er dann vielerlei. Und tut doch überhaupt nichts.

Im Gasthaus zum 'Goldenen Lamm' nimmt er sich ein Zimmer. Dann schlendert er durch die Straßen der Stadt. In einer Kneipe spricht ihn eine Frau vor der Jukebox an. Sie bittet um einen bestimmten Song. 'Drücken Sie Q 4!' Später gehen sie zusammen weg. In einem leeren Haus umarmen sie sich, scheu und zärtlich. Als sie es dann verlassen, sind sie sich fremd und sagen wieder 'Sie' zueinander.

Bloch flaniert, schaut sich um, orientiert sich neu - und fällt doch ständig zwischen jede Ordnung. Er nimmt sich Zeit. Worüber er selbst abhanden kommt. Sein Ziel ist das Ziellose: Zum Fußball oder ins Kino gehen. Einer Frau nachsehen. An einer Bude einen Imbiß nehmen. Durch die Stadt bummeln. Der Kinokassiererin folgen. Zeitung lesen. Von einem Augenblick zum anderen jedoch versteht sich nichts mehr von selbst. Das Allereinfachste wird sonderbar, fremd, wunderlich. Mal kommen Bloch Dinge 'vertrauter vor' als die Menschen, die mit ihnen zu tun haben; die amerikanischen Münzen, die er allen vorzeigt. Mal verzweifelt er an ihnen; am Telefon etwa, das nicht funktioniert. Dann wieder spürt er eine seltsame Unfähigkeit, sich etwas vorzustellen. Alles gerät durcheinander. Und es scheint immer unklarer, was er noch zu tun vermag. ...

Kino des reinen Blicks: Wo nicht die Handlung die Linie zieht, die das Tun der Helden bindet, sondern, ganz im Gegenteil, das Tun die Handlung immer aufs neue bestimmt. Wo die Kamera ihre Unschuld bewahrt, während sie rein in die Welt blickt und darüber staunt, daß sie zeigt, was ist. Eine gelbe Zuckerdose, neugierig umfahren und abgetastet. Verkratzte Schallplatten in einer alten Jukebox, die während die Auswahl läuft, hart aufeinderfallen. Ein roter Apfel, vom Grün der Blätter umschmückt. Ein Hemd, das über dem Bettpfosten hängt. Zwei, drei Mücken, die über einen Küchentisch krabbeln. Der Zug, der in den Bahnhof einfährt. Das Fragile dominiert über das Eindeutige, das Zufällige über das Besondere. Zu Herzen geht alles Flüchtige, der Augenblick eines überraschenden Blicks, einer überraschenden Gebärde. Die 'unerklärliche Schönheit der Modulation' triumphiert.

'Der Mensch inmitten der Welt, ihrer Jahreszeiten und Launen', das ist auch das Sujet in 'Die Angst des Tormanns'."

(Norbert Grob, ÑWenders" Edition Filme, Berlin 1991)

Im Basis-Film Verleih Berlin