Produktionsjahr
1970

Regie
Rainer Werner Fassbinder

Buch
Rainer Werner Fassbinder, nach einer Idee von Volker Schlöndorff

Kamera
Dietrich Lohmann

Musik
Peer Raben

Schnitt
Thea Eymèsz

Ausstattung
Kurt Raab

Besetzung
Hanna Schygulla (Hanna)
Michael König (Michel)
Günther Kaufmann (Günther)
Katrin Schaake (Katrin, Hannas Freundin)
Joachim von Mengershausen (Joachim, Katrins Freund)
Lilo Pempeit (Günthers Mutter)
Franz Maron (Hannas Onkel)
Harry Baer (Michels Kollege)
Marius Aicher (Meister)
Carla Aulaulu (Kundin)
Walter Sedlmayr (Sekretär)
Ulli Lommel (Autohändler)
Monika Stadler (Angestellte im Reisebüro)
Hanna Axmann-Rezzori (Mäzenin)
Ingrid Caven
Kerstin Dobbertin
Magdalena Montezuma
Elga Sorbas (Kolleginnen von Hanna)
Kurt Raab (Tankwart)
Rudolf Waldemar Brem (Kneipenbesucher)
Carl Amery (Bibliothekar)
Peter Berling (Wirt)
Rainer Werner Fassbinder
Eva Pampuch
Hanna Schmidt

Produktion
Janus Film und Fernsehen / anititeater-X-Film

Format/Länge
16 mm, Farbe, 84 min.



Rainer Werner Fassbinder über seinen Film RIO DAS MORTES

Aus einem Gespräch mit Corinna Brocher

Ich hab das aus 'ner Geschichte entwickelt, die Schlöndorff mir mal erzählt hatte. Schlöndorff sagte, er würde so wahnsinnig gerne, wenn er sich entschließen könnte, Filme zu machen, die nicht literarisch seien, würde er so wahnsinnig gerne einen Film machen, wo zwei Freundinnen sich nach langer, langer Zeit treffen und sagen, wir hatten doch so einen Jugendtraum, wir wollten doch zusammen auf irgend 'ne Südseeinsel, und der Effekt bei der Sache sollte sein, dass sie es tatsächlich gegen alle Widerstände, weil’s halt sehr verrückt ist, so ’n Jugend-, so ’n Kindertraum eigentlich, zu verwirklichen, dass sie das tatsächlich schaffen. Ich fand die Geschichte sehr faszinierend und hab auch dann, als ich da rangegangen bin, den Volker gefragt, ob’s ihm was ausmacht oder nicht und er hat sie mir geschenkt, die Geschichte, wenn man so will.
(...) Der Film hat noch mal das durchgespielt, was wir bis dahin gelernt hatten. Ist an sich auch als Produkt nicht weiter bedeutend und wesentlich, und auch für die Entwicklung des antiteaters oder für meine Entwicklung ist er auch nicht so wichtig gewesen. Ich finde ihn ganz – ganz hübsch und hab ihn an sich auch sehr gern, weil er das tatsächlich hat, was ihm vorgeworfen wurde, dass er nicht ernsthaft ist, dass er keine Problemstellung hat, dass er all das nicht hat, was die Filme des antiteaters oder meine Filme vorher hatten, das find ich eigentlich das Schöne an dem Film, dass er einfach so 'ne ganz naive, simple Geschichte auch ganz naiv und simpel und fröhlich oder traurig, egal wie man’s sehen will, erzählt. (...)
Der Kurt Raab hat die Ausstattung gemacht, gespielt haben die Hanna Schygulla, dann hab ich für die männliche Hauptrolle einen Schauspieler geholt, den ich aus Bremen, vom Kaffeehaus kannte, den Michael König, der jetzt bei Stein ist, und die andere männliche Hauptrolle hat Günther Kaufmann gespielt. Sonst haben eigentlich fast alle, die im antiteater waren, wie in allen Filmen ihre kleine Rolle oder ihren Auftritt gehabt. Das waren so die Carla Aulaulu, der Harry Baer, die Katrin Schaake, der Ulli Lommel, auch Magdalena Montezuma hat zum ersten Mal einen ganz kleinen Auftritt gehabt, und Ingrid Caven hatte 'ne Szene. Zum erste Mal hat bei mir der Walter Sedlmayer gespielt, ein unheimlich toller, bayerischer Volksschauspieler, ein ganz eigenartiger Mensch. Ich mein, das ist halt ein Film, der für eine bestimmte Summe in einer bestimmten Zeit mit einem bestimmten Anspruch, nämlich den, mit einer bestimmten Summe in einer bestimmten Zeit einen annehmbaren Film zu machen, gemacht wurde, und mehr wollte der Film nicht. Ich finde nicht, dass man das einem Film vorwerfen kann.
Das einzige, was auch bei RIO DAS MORTES versucht worden ist, von meiner Seite, ist, dass ich gesagt habe, ich will versuchen, keine Filme zu machen, die einen schlechten Geschmack haben, und den hatte er ganz gewiss auch nicht, und deswegen finde ich ihn an sich schon besser als das meiste, was sonst so gemacht wurde.

April 1973





Traumfabrik neu definiert

„Rio das mortes“

Fassbinder hat diesen Film als Kinofilm gemeint, sein Produzent jedoch hatte von Anfang an Verträge mit dem Fernsehen. Inzwischen glaubt auch Fassbinder, dass er im Fernsehen nicht nur das größere, sondern auch das wichtigere Publikum erreichen kann. In RIO DAS MORTES spiegelt sich ebenso die derzeitige Vorliebe der Fernsehspielautoren für die mit fiktiven Elementen durchsetzte Sozialreportage wie die Verehrung der Filmemacher für das Kino Hollywoods.
Michel und Günther, die beiden Fliesenleger, die von der Schatzsuche in Peru träumen, und ihre Freunde sind in ihren sozialen Verhältnissen genauer definiert als die Helden in den meisten bisherigen Filmen Fassbinders. Ihre Versuche, sich die Mittel zur Verwirklichung ihres Traums zu beschaffen, scheitern zunächst an realen Gegebenheiten; Fassbinder inszeniert dabei ins Groteske getriebenes Cinema-vérité und verweist dadurch auf den Fluchtcharakter dieses Traumes, zeigt aber auch, wie unmöglich es ist, sich der Manipulation selbst der Träume zu erwehren.
Doch Fassbinders Filmhelden wohnen bei „von Stroheim“: Nicht zufällig verweist Fassbinder auf den legendären Hollywoodregisseur. Denn über der Kälte der zwischenmenschlichen Beziehungen, die nur von Egoismus und Besitzansprüchen geprägt scheinen, über dem Grau der Alltagsrealität, der dumpfen Trostlosigkeit, die Fassbinder in KATZELMACHER oder zuletzt in WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? so genau beschrieben hatte, liegt hier der märchenhafte Glamour Hollywoods.
Die fragwürdige Schönheit der vorgegebenen Kinohaltungen – Hanna Schygulla fasziniert in Marlene-Dietrich-Posen – verweist die Träume in ihr angemessenes Feld, wo ihre Verwirklichung dann auch möglich wird.
Kino als Traumfabrik – Fassbinder hat diese Formel mit RIO DAS MORTES neu definiert, ohne die Schönheit der Kinoträume zu zerstören, ohne aber auch ihre gesellschaftliche Funktion zu übersehen.

Wolfgang Ruf

Süddeutsche Zeitung, 17.2.1971