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  • D 2003, 35 mm, Farbe, DVD, 100 Min.


    STAB

    Buch und Regie:
    Kamera:
    Dramaturgie:
    Montage:
    Produktionsleitung:
    Produzenten:

    Produktionsleitung RBB:
    Redakteurin RBB:
    Franziska Tenner
    Peter Przybyl
    Olaf Winkler
    Paul Belling
    Oliver Niemeier
    J. Körner, T. Riedel
    O. Niemeier
    Torsten Klein
    Cooky Ziesche

    BIOGRAFIE

    Franziska Tenner:

    1972 in Thüringen geboren
    1988-1991 arbeitete sie als Regieassistentin an den Stadttheatern Frankfurt (Oder)
    1991-1994 Redakteurin bei der Mefisto Video GmbH Berlin (Themenschwerpunkt: Rechtsextremismus)
    1994 erstes Buch "Ehre, Blut und Mutterschaft" im Aufbau Verlag erschienen

    Seit 1994 studiert Franziska Tenner an der HFF "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg Film- und Fernsehregie. Unter ihrer Regie entstanden an der HFF die Kurzfilme "November", "Nicole-Einsam bist du trotzdem" und "Charuzi Navi".
    No Exit ist ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm.





    Interview zu "No Exit" von Franziska
    Tennner, geführt von Karl Hermann im
    Tip-Berlin (Ausgabe 04/04)
    Für ihren Dokumentarfilm "No Exit"
    hat sich die Regisseurin unter Neonazis
    begeben. Dabei stieß sie auf stark ver-
    netzte Kameradschaften, den langen
    Atem der nationalen Szene und verhin-
    derte Medienstars. Woher rührt Ihre
    Faszination für rechtsextreme Jugendli-
    che?

    Franziska Tenner: Ich bin in diesem Land
    und mit dieser Generation groß geworden.
    Ich bin in Schwedt aufgewachsen, und ich
    kenne diese brutalen, rabiaten Umgangs-
    formen. Das ging schon in den Achtzigern
    los. Bei mir in der Schule sind innerhalb
    eines Jahres acht Leute in meinem Alter in
    den Knast gegangen. Diese Jugendlichen
    hätten also meine Bekannten sein können.
    Und ich versuche einfach nur zu beobach-
    ten, was aus ihnen wird. Meine Eltern tole-
    rieren dies übrigens weniger. Die haben
    Angst, dass ich denen eine Plattform gebe.
    Wie entsteht der erste Kontakt zu einer
    rechten Kameradschaft? Die stehen ja
    nicht im Telefonbuch...

    Franziska Tenner: Man muß sich erst mal
    ohne Kamera und ohne Team mit ihnen
    trefffen und eine ganze Weile mit ihnen
    reden, Vertrauen aufbauen. Aber anderer-
    seits wollen sie auch die Öffentlichkeit: Sie
    träumen davon, Superstars zu werden, auf
    ihre Art und Weise. Der Nico hat mich mal
    gefragt, ob ich Hasselbach kenne. Die
    sehen diese Medienstars und wissen, dass
    so etwas funktioniert. Auch Kühnen war ja
    ein negativer Medienstar. Und diese Rolle
    war etwa bei Nico eine große Hoffnung.
    Wie weit funktioniert das gegenseitige
    Vertrauen bei so einem Projekt? Gibt es
    da gefährliche Situationen?

    Franziska Tenner: Da gab es einen Artikel
    über die erste Vorführung bei den IG Medi-
    en in Frankfurt. Und darauf hat die rechte
    Szene ziemlich sauer reagiert. Nicht auf
    mich, sondern auf ihre eigenen Leute. Das,
    was wir gemacht haben, war ja ein Blick
    hinter die Kulissen, der für die Rechten
    eher peinlich ist, weil er das Eigenbild zer-
    stört, das sie von sich aufgebaut haben.
    Doch wenn jetzt etwa Nico, um seinen Ruf
    zu retten, die Sache so dreht, dass ich
    angeblich gegen Absprachen verstoßen
    habe, ihn quasi verrraten habe, dann kann
    die Sache auch für mich kritisch werden.
    Doch im Augenblick traut er sich selber
    nicht nach Frankfurt. Und auch die anderen
    dürfen nicht mehr in die Szenediscos.

    Gibt es da ein Bewußtsein für die eigene
    Trostlosigkeit, für diesen grenzenlosen
    Dilettantismus in ihrem Leben?

    Franziska Tenner: Sie spüren es, aber es ist
    schwer, die Wahrheit darüber anzunehmen
    – und deswegen sind sie auch so aggressiv.
    Doch die Strukturen ihrer Kindheit, woher
    das alles kommt, das kennen sie sehr
    genau. Erst ist das übliche Schenkelklop-
    fen angesagt und dann wird es ziemlich
    beklommen, wenn sie plötzlich über ihre
    Familie reden müssen.
    Ist das eher Mitleid oder vielleicht auch
    Hohn, der sich berechtigterweise bei
    einigen jugendlichen Zuschauern breit
    machen wird?

    Franziska Tenner: Hoffentlich doch wohl
    eher ein Lachen, das im Halse stecken
    bleibt. Für mich wäre es wichtig, dass sich
    die Zuschauer auch wiedererkennen.
    Was für ein Typ ist dieser Nico? Einer-
    seits Protagonist der NPD und dann
    auch wieder sanfter Liedermacher ...
    Franziska Tenner: Der will sich nach oben
    treten, raus aus dem Milieu seines Vaters,
    wo Alkohol und Arbeitslosigkeit bestim-
    mend sind – und er will natürlich auch mit
    Politik Geld verdienen und mit der Musik,
    was vielleicht sogar funktionieren kann.
    Der ist zäh, der ist jung und hat einen lan-
    gen Atem. Dafür geht er dann auch ins
    Altersheim, um dort seine Rennicke Lieder
    (Frank Rennicke ist Liedermacher der
    rechten Szene, die Red.) zu singen.
    Ist das ein neuer Trend in der Szene?
    Weniger Aufmärsche, dafür mehr Sozi-
    alarbeit im Kleinen. Ist das schon das
    Ende der Organisation?

    Franziska Tenner: Nein, die Kamerad-
    schaften sind untereinander sehr vernetzt,
    gerade an der Odergrenze, Frankfurt,
    Guben, Eisenhüttenstadt. Aber die holen
    sich heute ihr Feedback aus sozialen und
    anders getarnten Aktivitäten. Wenn da
    viele Leute – und nicht nur welche mit
    rechter Gesinnung – ihre Liste gegen Kin-
    derschänder unterschreiben, dann ist das
    natürlich auch ein Erfolg. Viele Rechte
    nutzen heute kommunale Freiräume, da wo
    sich die Gesellschaft zurückgezogen hat,
    organisieren Kinderfeste, geben Schüler-
    zeitungen heraus.

    Ist das rechtsextreme Weltbild da oft
    nicht nur noch eine Pose, um Aufmerk-
    samkeit herzustellen, hinter der sich ein
    ganz anderes Bedürfnis verbirgt?

    Franziska Tenner: Ja, vielleicht ist das der
    Unterschied zu früher. Damals, vor zehn
    Jahren, suchte man die Gruppe, heute die
    Familie. Doch diese Sehnsüchte können
    sie außerhalb der Gruppe nicht realisieren.
    Diese ganzen Versuche, eine Familie auf-
    zubauen oder nur eine positive Beziehung
    einzugehen, gehen meistens schief.
    Ich frage Nico in dem Film, was für ihn
    Liebe ist, und er kann es nicht beschreiben,
    er weiß es nicht. Er hat für positive Gefüh-
    le wie Liebe, Leidenschaft, Vertrauen
    keine Worte. Er kann nur die negativen
    Gefühle beschreiben: Hass, Wut, Angst.
    Und da wird er dann auch sehr emotional.
    Was glauben Sie, was man mit diesem
    Film erreichen kann?

    Franziska Tenner: Eine Entwicklung auf-
    zuzeigen, die eher im Stillen abläuft. Die
    Öffentlichkeit interessiert sich nur, wenn
    Gewalt im Spiel ist. Davon wird sich
    distanziert, aber mit dem Rest hat man kein
    Problem, etwa woher diese latente Gewalt-
    bereitschaft kommt. Und da hat auch die
    Szene kapiert, das sie das nicht weiter-
    bringt. Auch Nico sagt, man muss die
    Jugendlichen von der Straße holen. Und
    das tun die freien Kameradschaften.
    Was wünschen Sie sich für den Film?

    Franziska Tenner: Ich wünsche mir Offen-
    heit, den Mut, sich auf diese Menschen
    einzulassen. Ich möchte mit dem Film
    daran erinnern, dass jeder, mich einge-
    schlossen, Verantwortung für seine Mit-
    menschen hat, dass es wichtig ist, sich für-
    einander zu interessieren und über alle
    Barrieren hinweg miteinander im Gespräch
    zu bleiben.