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  • Verzeihung, ich lebe

    PRESSESTIMMEN

    Man sieht ihnen die Last nicht an, die sie in sich tragen. Sie sehen aus wie ganz normale ältere Menschen, die auf ein mehr oder weniger glückliches Leben blicken können. Nur: sie halten es nicht für normal, dass sie noch leben.
    Eva-Maria Schirge, Kölner Stadt-Anzeiger

    Von Auschwitz zu erzählen sei nicht leicht, meint Abraham, der zuvor das unbeschwerte Leben eines Kindes aus reichem Hause lebte. „Was hätten wir unseren Kindern erzählen sollen?“ fragt er und schließt: „Das Leben will normal sein.“

    „Das Vogelgezwitscher, das Opfer wie Täter hörten, die Geräuschkulisse der Normalität lässt ein Grauen durchsickern, vor dem sich der Zuschauer kaum verschließen kann ... Und auch dies wird man nicht vergessen, wenn man nach dem Film der persönlich, der Mensch gewordenen Trauer ein Foto sieht: Die Braut, die ihrer Zukunft zulächelt, der Familienkreis, der eine ganze Lebensordnung verrät, sie alle wurden nur bemessen am Datum, das die Kamera vom oberen Rand des Photos in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zieht.“
    Heike Kühn, Frankfurter Rundschau

    „Diesem Film von Andrzej Klamt und Marek Pelc, ist gelungen, worum sich Spielberg und Co. vergeblich bemühen - eine Ahnung zu übermitteln, was und wie Shoa-Überlebende erinnern.“
    J. Jacoby, Allgemeine Jüdische Wochenzeitung


    Am Rande des Abgrunds

    Ella Liebermann-Shiber, in Berlin geboren, mußte 1938 mit ihrer Familie Berlin verlassen und nach Bedzin/Polen ziehen. Mit der deutschen Besatzung findet sich die Familie im Ghetto wieder. Im August 1943 wurde Bedzin für „judenrein“ erklärt. Ella Liebermann-Shiber wurde zusammen mit ihrer Familie nach
    Auschwitz-Birkenau geschickt.
    Ihr Vater und ihre Geschwister wurden getötet. Ihr Leben und das ihrer Mutter wurden dank ihrer zeichnerischen Begabung gerettet. Die Deutschen beauftragten sie mit Porträtmalerei. Sie überlebte und wurde im Mai 1945 befreit. Unmittelbar nach der Befreiung begann Ella Liebermann-Shiber, die Geschehnisse durch ihre Zeichnungen zu dokumentieren.
    „Jeder Tag bedeutet Verfolgung, jeden Tag ein anderes Versteck, immer den Tod vor Augen. In der Nacht vom 31. Juli zum 1. August 1943 wurden wir von Schüssen, Weinen und uns bekannten Schreien: „Juden raus!“ wach. Es gelang uns, in gebückter Haltung über den Hof zu rennen und unser Versteck zu erreichen: eine Art Grab unter einem Abfallhaufen. Dort saßen wir, gebeugt und mit angewinkelten Knien: mein Vater, meine Mutter, mein kleiner Bruder, meine alte Tante und ich. Nur so hatten alle Platz.
    Wir hörten, wie die Juden zusammengetrieben und weggebracht wurden. Wir hörten die Schüsse und das Weinen der Kinder. Wir hörten das Schreien unserer Nachbarin, Frau Doktor Rechtschaft, ganz nah an dem Abfallhaufen. 'Mein Kind, mein Kind.' Schüsse und wieder Ruhe. Ich höre die kleine Luscha weinen, die 5jährige Tochter unserer Lehrerin, Frau Inwald.
    Drei Tage und drei Nächte hatten wir nichts zu essen und zu trinken. Dann begann uns der Durst zu quälen. Plötzlich näherte sich jemand, und die Platte über uns wurde weggerückt. Der polnische Hausmeister riskierte sein Leben und rettete uns vor dem Hungertod. Er warf einen Brotlaib und eine Flasche Wasser hinunter in unser Grab. Wochenlang half er uns in der Not.
    Einige Tage hören wir Schüsse und Schreie. Leichen werden auf den Abfallhaufen geworfen. Wir werden naß von dem Blut, das durch die Bretter und den Müll tropft. Später werden die Toten auf einen Lastwagen geladen, und auf den Abfallhaufen wird Kalk gestreut. Wir ersticken fast.
    Meine Tante verlor das Bewußtsein und starb, ohne wieder zu Bewußtsein zu kommen. Und wir hockten eingezwängt mit der Leiche in diesem Loch.
    Eines Tages hörten wir eine Stimme: 'Wachtposten, hier verstecken sich Juden, ich bin Deutscher, kommt mit, ich zeige euch den Polen, der die Juden mit Lebensmitteln versorgt.' Schritte bewegten sich auf den Abfallhaufen zu, aber sie gingen weiter in Richtung unseres Hauses. Einige unserer Nachbarn wurden mit Schlägen herausgetrieben. Dann wurde der Hausmeister, der uns geholfen hatte, auf den Hof gezerrt, brutal geschlagen und angeschrien: „Wo verstecken sich die Juden?“ Der Pole weinte: „Ich weiß nichts, ich weiß überhaupt nichts.“
    Er wurde weggeschleppt und nie wieder gesehen. Wir krochen aus dem Versteck und ergaben uns. Bevor wir nach Auschwitz geschickt wurden, brachte man uns ins Ghetto, um die verlassenen jüdischen Wohnungen in Ordnung zu bringen.“
    (Aus: Ella Liebermann-Shiber, Am Rande des Abgrunds. Alibaba Verlag, Ffm 97. Dort sind auch die Zeichnungen abgebildet.)