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  • New York Memories

    PRESSESTIMMEN

    NEW YORK MEMORIES
    Die 80er-Jahre-Nostalgiewelle rauscht und gurgelt weiter durch die Filmwelt. So entdeckt auch Rosa von Praunheim nach Jahren der Abstinenz in New York wieder „die aufregendste Stadt der Welt“. Aus vielen Stimmen, auch jener deutschen Einwanderer, die er bereits vor über 20 Jahren mit „Überleben in New York“ verewigte, entsteht eine persönliche, erstaunlich zahme und dennoch mitreißende Hommage an den Ort, in dem wieder alles möglich ist - das entschiedene Gegenprogramm zu „Sex and the City 2“.


    Auf einem Ausklappsofa schmollt Rosa von Praunheim den guten, alten Zeiten hinterher, „als die Stadt vor Energie glühte“ und er “den geilsten Sex mit den tollsten Männern der Welt“ hatte, während jetzt die Schwulen ja nur noch um das Recht auf Heirat kämpfen würden. Die 70er Jahre in New York waren „wild“, die 80er „verhängnisvoll“. Enttäuscht und wütend über die „zero tolerance“-Strategie, in deren Zuge immer mehr Schwulenbars geschlossen wurden, kehrte er seiner Lieblingsstadt Mitte der 90er Jahre den Rücken. Jetzt kam er zurück und sucht die einstigen Freunde auf. Weder sie noch ihre Kinder sind auf Krawall gebürstet.

    Mit Anna und Claudia traf er zwei Protagonistinnen aus seinem Film „Überleben in New York“ (von 1989) wieder. Die zwei Frauen haben strapaziöse Zeiten in den 80er-Jahren überstanden. „Ich war zu stolz, um zurückzugehen,“ sagt Anna. Als Gogo-Girl finanzierte sie damals ihr Psychologiestudium, traf in der Gogo-Bar ihren späteren Mann, wurde später Autorin und hat jetzt ein Haus im aufblühenden Harlem.
    Claudia empfand die USA damals als faszinierend, aber auch brutal, vulgär, pervers. Sie überlebte eine Vergewaltigung in der eigenen Wohnung, zog für ein Jahr nach München und kehrte dann aus Liebe zu ihrer späteren Lebenspartnerin wieder zurück. Jetzt schreibt sie in und über New York: „Geld verdient man heute im Journalismus mit Glamour.“

    Die Schwestern Lucie und Marie Pohl erzählen, wie sie sich als junge Künstlerinnen mit Jobs in New York über Wasser halten. Dass sie sich in Finanzkrisenzeiten so wert - und machtlos fühlen wie noch nie, aber keinen Konflikt scheuen. „Hier können wir so viel sein: mal deutsch, mal rumänisch, mal jüdisch, mal griechisch.“

    Schüler aus Harlem berichten von den neuen Polizisten im Viertel, die sich mit Rasta-Frisur tarnen. Dann ist da Isaac, das transsexuelle Kind von Praunheims Kameramann, das sich im Alter von 12 Jahren auf Youtube als Junge outete. Ein vielstimmiges Bild aus reflektierten Erfahrungen entsteht.

    Hier und da hakt Praunheim nach, fragt nach Sexerlebnissen, Sicherheitsbedürfnissen oder warum die jeweiligen Beziehungen überhaupt noch bestehen, lässt aber haarsträubende Sätze wie den der 83jährigen Living-Theatre-Begründerin Judith Malina: „Wenn ich Hitler nicht lieben kann, kann ich niemanden lieben, weil ich dann Hass im Herzen habe“ für sich stehen.

    Weitestgehend wertfrei und beschaulich breitet Praunheim in seinem bereits 73sten Film wieder spannende Lebensgeschichten aus, ohne die Porträtierten vorzuführen. Subkulturelle Formen flimmern gelegentlich in bunten, zerkratzten Videos aus den 80ern oder mit dem, in der U-Bahn Reden schwingenden Reverend Billy und in kurzen Gesprächen mit Schwulen und Transen auf. Der Blick fällt weniger auf die Politik als auf das Private, weniger auf die Gestrauchelten als auf die Etablierten. Praunheim schaut auf die Spuren, die die Stadt in den einzelnen Lebensentwürfen hinterlassen hat und zeigt gepflegte persönliche Inventuren in stilvollen Umgebungen. Dank der Offenheit springen viele Funken in den Kinosaal über.

    Programmkino.de - Dorothee Tackmann
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    Rosa von Praunheim ist in Deutschland wohl oder profilierteste und rührigste Vorkämpfer für die Befreiung, Legalisierung und Normalisierung der Homosexualität oder der Transsexualität. Er hat auf diesem Gebiet ein beachtliches filmisches Oeuvre aufzuweisen. Er kämpft seit Jahrzehnten dafür, dass die Menschen das Schwulentum besser verstehen und dulden. Er zwang Promis, sich zu outen. Sein Bemühen um die Eindämmung von Aids ist legendär. Für Veranstaltungen wie den St.-Christopher-Street-Day tritt er vehement ein. Dabei war er in der Szene, in den Liebesbeziehungen Homosexueller oder was viele intime Bekanntschaften betrifft nie ein Kostverächter. Zahlreiche Selbstzeugnisse berichten davon.

    Vor etwa 20 Jahren drehte er seinen Film „Überleben in New York“. Er erfasste darin die absonderlichsten Figuren, die wildesten Meetings, die vielen Künstler (z.B. Andy Warhol) und Möchtegernkünstler, natürlich auch seine Freunde – Männlein wie Weiblein. Daraus entstand ein Dokumentarfilm, für den es gar den Deutschen Filmpreis gab.

    Jetzt, nach 20 Jahren (2009) ein Erinnerungsfilm – mit passenden Szenen aus „Überleben in New York“ -, ein neues Dokument:

    Manhattan hat sich gewandelt, ist ein Ort der Reichen geworden. Für ein kleines Zimmer beträgt die Monatsmiete 1800 Dollar. Ein Pfund Spinat kann 50 Dollar kosten (tatsächlich 50 Dollar!) Bürgermeister Giuliani hat während seiner Amtszeit die Stadt „gesäubert“. Die Zahl der Verbrechen nahm ab. Aber viele, Unzählige, mussten aus Kostengründen die Stadt verlassen. Auch viele Künstler, Homosexuelle und „Originale“.

    Praunheim besucht Freunde von damals, schildert, was aus ihnen geworden ist, wie farbig aber schwer ihr Leben war. Er trifft junge Menschen, die sich durchbeißen müssen, jedoch in New York bleiben, weil sie die Stadt, die ja wirklich einzigartig und unnachahmlich ist, lieben: Anna und Claudia, beide mit einer äußerst bewegten Vergangenheit, die hübschen um künstlerischen Erfolg bemühten Schwestern Lucie und Marie Pohl, den jungen Transsexuellen Isaac, die bekannte und tatkräftige Pazifistin und „Philosophin“ Judith Malina und andere mehr.

    Es ist ein schrilles, aber interessantes, aufschlussreiches, typisches, sehr gut montiertes, ausgesuchtes und auch unterhaltsames Bild geworden. Wer Interesse an dem Thema hat, wird seinen Kinobesuch nicht bereuen.

    Programmkino.de - Thomas Engel
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    ÜBER LEBEN IN NEW YORK

    »Die schwulste Stadt der Welt«, so Rosa von Praunheim im Prolog seines neuen Films, sei New York. Hier hatte er den geilsten Sex, mit Bodybuildern und Warhol-Superstars. Nachdem das klargestellt ist, kann sich New York Memories dann weniger narzißtischen Dingen zuwenden.

    Im Grunde hat dieser Film nämlich einiges zu erzählen. Als eine Art Sequel zu seinem Film Überleben in New York (1989) greift New York Memories zunächst einige Fäden aus ersterem auf, um die Geschichten der Protagonisten fortzuschreiben und gleichzeitig die Veränderungen zu skizzieren, denen diese Stadt in den letzten vier Dekaden unterworfen wurde. So gelang es zwar Bürgermeister Rudolph Giuliani, mit seiner »Zero Tolerance«-Politik die zuvor exorbitant hohen Kriminalitätsraten in den Griff zu bekommen, gleichzeitig radierte er aber, nicht selten durch die gleichen Gesetze, große Teile der homo- und transsexuellen Subkultur aus. Rosa von Praunheim spürt dieser einst so florierenden, vielfältigen Kultur nach, indem er vor allem die Orte und Menschen seiner eigenen, persönlichen Erinnerungen an New York erneut aufsucht.

    In diesem Ansatz liegt auch die größte Stärke dieses schönen Films, dem es über weite Strecken gelingt, eine offen persönliche Perspektive mit spürbar ehrlichem Interesse für seine Gesprächspartner und Protagonisten zu verbinden. Von den drei deutschen Frauen, die von Praunheim in Überleben in New York portraitierte, ist eine inzwischen nach Kalifornien geflohen, die anderen beiden harren noch immer aus und haben inzwischen sehr Unterschiedliches erlebt. Während Journalistin Claudia in ihrer Wohnung brutal vergewaltigt wurde, erzählt die mittlerweile in Harlem lebende Anna vom blühenden urbanen Leben in dem einst als Slum verfemten und als höchstgefährlich geltenden Viertel. Neben diesen bereits seit Jahrzehnten in New York verorteten Frauenbiographien erzählt New York Memories aber, in Gestalt der Schwestern Marie und Lucie Pohl, auch von jungen Frauen, die nach ersten Erfolgen als Künstlerinnen in Deutschland in New York noch ganz am Anfang stehen. Weitere Abschweifungen stellen dann noch illustre Gestalten wie Reverend Billy, Gründer der Church of Non Shopping, oder auch den 13jährigen Isaac vor, der sich, als Mädchen geboren, bereits im Alter von zwölf Jahren per YouTube-Video als transsexuell outete. So entsteht allmählich ein vielfältiges Panorama von New Yorker Lebensentwürfen, und eher als eine dröge Faktensammlung sucht die angestrebte anekdotische Form einen Eindruck davon zu vermitteln, was es bedeuten und wie es sich anfühlen könnte, an diesem ganz speziellen Ort ein Leben zu leben. Und nach kurz anmutenden 90 Minuten ist dieser äußerst lebenspralle Stadtfilm dann leider auch schon wieder zu Ende.

    Schnitt, Jochen Werner
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    MIT ROSAS BRILLE BETRACHTET
    Die schrägsten Partys, der geilste Sex, der größte Erfolg: Rosa von Praunheim sucht in seinem neuen Film nach den Protagonisten und Schauplätzen seiner 1988 gedrehten Dokumentation "Überleben in New York".


    Anfangs ziehen sie noch mal vorbei: Erinnerungswolken an die glorreichen Siebziger, in denen New York aufblühte mit Disco, Warhol, Queer-Kultur. Die Achtziger, in denen das Aids-Virus den kollektiven Rausch erstarren ließ; die Schwelle zu den Neunzigern, die Rosa von Praunheim schwärmerisch aus dem Off beschreibt.
    New York erstrahlt wieder als Gay-Mekka und großes Freiheitsversprechen für Individualisten aller Art. Die schrägsten Partys, der geilste Sex, mein erfolgreichster Film: So fasst der heute 67-Jährige die Ära zusammen. "Überleben in New York" heißt besagte Doku von 1988, in der von Praunheim eine Handvoll deutscher Glückssucherinnen in der Megacity begleitet.
    Wenn sich der Filmemacher nun erneut auf den Weg macht, um deren Sicht auf die Stadt mit der ei genen zu verzahnen, schwingt zunächst Nostalgie mit. Doch schnell ist der Instinktfilmer ganz in der Stadt, die er vorfindet, und lässt sich von ihrem Rhythmus treiben. Es zeigt sich bald, dass sich der Überlebenskampf in Zeiten von Gentrifizierung und Si cherheitswahn nicht erüb rigt hat.
    Die Töchter des Schriftstellers Klaus Poehl etwa, Ex-Nachbarinnen, brodeln vor Schaffensdrang wohl genauso wie einst von Praunheim selbst. Das Finden tauglicher Leitfiguren aber gestaltet sich schwierig mit der Generation der Dreißigjährigen: Das zeigt ein Gespräch mit Living-Theatre-Ikone Judith Malina. Der be bende Appell der alten Dame an den Rebellengeist der Jugend und die politische Sprengkraft der Kunst wirkt wie ein recht skurriles Echo einer fernen Epoche. Lucie Poehl lauscht gebannt – ehe sie wieder kellnern geht in einer bayrisch getrimmten Touristenfalle. "Sicherheit ist nicht das, wonach ich suche", stellt auch Claudia Steinberg fest, die von ihrem freien Journalismus leben kann, aber auch gelegentlich auf die Krankenversicherung verzichtet. Als die Gestalttherapeutin Anna Steegmann den Filmemacher durch ihre neue Umgebung in Harlem führt, zeigt von Praunheim das Stadtviertel en passant als Knotenpunkt der Gentrifizierung. Die Kraft der Communities, ob in der Kunst- oder Queer-Szene, zieht im New York der ausgehenden "noughties", der Nullerjahre, nicht mehr, zumindest nicht auf der Straße. Der zwölfjährige Sohn von Praunheims einstigem Kameramann setzt sich mit seiner Transsexualität denn auch lieber via Youtube im Internet auseinander, als mit den Eltern zur Gay-Parade zu pilgern.
    Im oft bewährten Vertrauen auf Zufälle kommt von Praunheim zu einer lebendigen Bestandsaufnahme seiner Lieblingsstadt, in der der Überlebenskampf Sache der Einzelkämpfer geworden ist. Dem grünen Bürgermeisterkandidaten, der mit irrer Föhnwelle, Megafon und Hippie-Botschaften durch die Metro zieht, gibt Claudia Steinberg dann aber doch ihre Stimme. Irgendwo hatte doch mal irgendjemand Veränderung versprochen: "Change".
    Tip-Bewertung: Sehenswert

    tip-Berlin, Ulrike Rechel

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    AUF DEM DACH IST NICHT IMMER OBEN

    New York - Wie begegnet man einer Stadt, die nicht nur niemals schläft, sondern die alles und alle verschlingt? Vielleicht wirklich am besten mit einem Tanz. Und so tanzen die Schwestern Marie und Lucy Pohl hoch oben - und wissen doch, wie unendlich weit der Weg dorthin noch ist.

    20 Jahre sind eine lange Zeit. Für New York ist es eine Ewigkeit. Dies lässt uns Rosa von Praunheim gleich zu Beginn seiner "New York Memories" spüren. Stimmt dies aber? Es stimmt für von Praunheim - und dessen leise Überzeugungsarbeit macht seine filmische Position glaubwürdig.

    20 Jahre nach "Überleben in New York" ist von Praunheim zurück. Zurück in Manhattan, zurück in einer Stadt, die er 1987 als befreiend erlebte - auch oder vielleicht gerade in ihrer ungeschminkten Härte. Anna Steegman und Claudia Steinberg hatte er damals als Wegweiser durch wie als Protagonistinnen in New York genutzt. Auch sie trifft er wieder, doch das Interesse an ihrem gegenwärtigen Leben ist spürbar geringer als jene Intensität, mit der von Praunheim über das Leben seiner vormaligen Heldinnen erfahren und verstehen will, was mit der Stadt geschehen ist, die er als die aufregendste der Welt erlebt hat und die ihm nun unerwartet aufgeräumt und sauber erscheint.

    Das Erleben des "neuen" New York provoziert den eigenen Rückblick: "Ich mache mich auf meine persönliche Spurensuche", hört man von Praunheim in die ersten Bilder hinein erzählen, "suche Bilder aus meinen alten Filmen, von den wilden 70ern mit Sexpartys, wilden Demos und exzentrischen Warhol-Superstars". Und, ja, "ich erinnere mich an die tragischen 80er Jahre und den wütenden Kampf gegen Aids". Zuletzt: "In den hoffnungsvollen 90er Jahren filmte ich den Aufschrei von Transsexuellen, die sich nicht mehr damit abfinden wollten, ermordet und vergewaltigt zu werden." "Gleichzeitig", so eröffnet von Praunheim den 90-minütigen Feldzug gegen die bürgerliche Existenz, "säuberte Bürgermeister Giuliani die Stadt. Sexclubs wurden zugemacht, Künstler und Obdachlose wurden vertrieben. Manhattan wurde reich und ein Stück langweilig."

    Für New-York-Besucher der jüngeren Zeit mag anderes im Vordergrund stehen - ein früher nicht gekanntes Gefühl der Sicherheit oder auch nur eine frappierende Sauberkeit -, für Rosa von Praunheim ist diese Stadt ohne ihren einstigen Furor nicht New York. Oder doch? Er trifft Isaac, der als Mädchen geboren wurde, aber sehr früh ein nicht nur überraschend klares Gefühl dafür entwickelte, ein Junge zu sein - und dies auch in eben dieser Klarheit dokumentierte.

    Isaac ist 14, ist Tochter und/oder Sohn eines jener inzwischen Etablierten aus der New Yorker Medienszenerie. Auf deren Klaviatur spielt der Junge, der ein Mädchen war, ihren Erwartungen setzt er sich aus. Zugleich aber ist Isaac ganz und gar ein Kind des New York von heute - kühle Souveränität, Neugier, Mut und Machergeist selbstverständlich verbindend. Andere scheinen noch nicht so weit. Von Praunheim begeistert sich für die Schwestern Marie und Lucie Pohl. Sie sind mit ihren Eltern nach New York gekommen - damals ein bundesrepublikanischer Auf- und Ausbruch voller linksliberaler Widersprüche.

    Jetzt bewegen sich Marie und Lucie Pohl zwischen den Welten und den Kontinenten - und kaum jemand könnte erfinden, dass es die Verlagsgelder aus Deutschland sind, die Marie Pohl nach dem Erfolg ihres Erstlings "Maries Reise" die Möglichkeit geben, es weiter in New York zu versuchen. Mit Theater, mit einem eigenen Stück vielleicht gar, von dem Lucie seit ihrer Schauspielausbildung in Deutschland träumt. Vorerst bleibt den Schwestern nur dieser Traum, und zuletzt, wenn nichts mehr hilft, der Weg auf das Dach. Hoch oben tanzen Marie und Lucie dann - und wissen doch, wie unendlich weit der Weg dorthin noch ist.

    Kameramann Loren Haarmann findet für diese Momente so intensive wie zurückhaltende Bilder. Wie er es überhaupt meidet, in die Offensive zu gehen. Keine rasanten Kamerafahrten, kein Heranzoomen der Gesichter im Gespräch. Das mag die Distanz unterstreichen, die Rosa von Praunheim während der Aufnahmen im Frühjahr 2009 in und für diese Stadt empfand, mehr noch aber erlaubt gerade Haarmann eine Annäherung unter neuen Vorzeichen. Zu diesen zählt auch eine reale neue Liebe von Praunheims. Oliver taucht kurz auf, ein blonder junger Mann, bei "New York Memories" ist er mit für den Ton zuständig. Und dann ist da, im Frühjahr 2009, noch das Gefühl, dass Barack Obama es schaffen könnte.

    Versteckt und offen blüht es in New York - und auch Rosa von Praunheim kann sich dem Zauber des zugegeben unspektakulär Schönen nicht entziehen. Bildet er deshalb den größtmöglichen Gegensatz mit ab, den Besuch von Anna Steegmann und ihrem Mann in Görlitz? Es ist ein so unfreiwillig komischer wie bitterer Moment, als die beiden sich ein mögliches Leben in der Görlitzer Altstadt schönreden. Wenn nichts mehr hilft in New York, "haben wir noch immer die Wohnung in Görlitz", sagt Anna - und Rosa von Praunheim wechselt hinüber in die Stadt, in der es Lucie und Marie Pohl noch einmal versuchen wollen, in der Isaac mit seinem Vater Filme über sein Leben dreht und eine eigene Internet-Community bedient. Und in der Claudia Steinberg seit 15 Jahren mit ihrer im intellektuellen Kernmilieu der Stadt verankerten Lebensgefährtin ein Leben zwischen dem Warten auf Gestaltungs- und Reisetextaufträgen und Bergen von zu lektorierenden Manuskripten führt.

    Anna Steegmann ist in New York überfallen worden, Claudia Steinberg hat am Hudson mehr als einmal auch eigenen Luxus vergehen sehen. Und doch würde man sich nicht wundern, wenn gerade diese beiden aufsteigen würden zu Marie und Lucie Pohl - zum Tanz über den Dächern von New York.

    Stuttgarter Nachrichten, Nikolai B. Forstbauer
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    LEBEN IN DER SCHWULSTEN STADT DER WELT

    Vor gut zwanzig Jahren hat Rosa von Praunheim in "Überleben in New York" drei deutsche Einwanderinnen porträtiert, die sich zäh an diesen Moloch Stadt klammerten. "New York Memories" blickt auf diesen Film zurück und verwendet viel vom alten Material. Claudia, die damals vergewaltigt wurde, ist jetzt in journalistisch-literarischen Zirkeln unterwegs und mit einer Lektorin befreundet. Anna, die sich in einer Go-Go-Bar ihr Studium verdiente, ist mit einem Lehrer liiert. Die kleine Uli allerdings, die Frau von der Schwäbischen Alb, die so träumerisch-furchtlos durch den Straßendschungel streifte, wohne heute in Kalifornien, sagt Praunheim. Und kein Wort mehr. Das ist dann doch zu wenig, vor allem für einen Filmregisseur, der sonst intimste Details öffentlich macht.

    Praunheim mischt sich jetzt selber ein, zeigt sich als älteren Mann, der melancholisch zurückdenkt an die "schwulste Stadt der Welt", die "schönsten und kräftigsten Männer", den "geilsten Sex". Die von Uli hinterlassene Leerstelle aber will er nicht allein füllen, da helfen zwei junge, deutschstämmige Schwestern, die auf dem Karrieresprung waren, nun in der Luft hängen und trotzdem den "Rhythmus der Stadt" preisen. New York verlangt immer noch alles, der ruhelose Geist der Stadt scheint ihre Bewohner zu prägen. Oder ist es umgekehrt? Haben sich die Ruhelosen diese Stadt, die wie eine Beschleunigung und Verdichtung der westlichen Zivilisation wirkt, zum Zentrum gewählt? Wenn Claudia "permanenten Existenzdruck" spürt oder Anna erklärt, im Alter könne man hier nicht mehr leben, hat diese Liebe zu einer Stadt etwas Masochistisches.

    Sprunghaft und kursorisch sind diese "New York Memories". Wie wär"s mit Aids, 9/11, einem transsexuellen Jungen? Willkommen in diesem Film, es ist für (fast) alles Platz! Aber das ungebändigt Quirlige hat auch Charme. Immer noch schafft es Praunheim, Leute zum Reden zu bringen. Selbst wenn diese sich selber darstellen wollen, reden sie sich oft in Widersprüche hinein. Die von Claudia besuchte Künstlerin etwa: starr und verspießert hockt sie in ihrem Reichtum und hält sich für einen guten Menschen, weil sie Wohlfahrtsdinner besucht, weil sie, um mal polemisch zu werden, für die Armen Austern frisst. Am Ende dieses spannenden Films, der einem hie und da furchtbar auf die Nerven geht, zieht Praunheim das Fazit: "Ich liebe diese Stadt immer noch, sie macht stark und mutig." Auch das könnte man polemisch so umformulieren: Was uns nicht umbringt, macht uns nur noch stärker.

    Stuttgarter Zeitung, Rupert Koppold
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