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  • Eine deutsche Revolution

    BRD 1982, 16 + 35 mm, Farbe, 97 Min.

    BESETZUNG

    Becker
    v. Stein
    Preuninger
    Gravellius
    Zeuner
    Kuhl
    Amalie Weidig
    Georg Büchner
    Dr. Stegmeyer
    Minnigerode
    Hofrat Georgi
    Minni
    Scharmann
    Hofrat Schiffer
    Pfarrer Weidig
    Peter Becker
    Bazon Brock
    Marquard Bohm
    Peter O. Chotjewitz
    Jörg Falkenstein
    Eike Gallwitz
    Brunhild Geipel
    Greger Hansen
    Ernst A. Hartung
    Egon Hofmann
    Emanuel Schmied
    Heidi Speisser
    Siegfried Unruh
    Wolfram Weniger
    Franz Wittich

    STAB

    Buch und Regie
    Kamera
    Ton
    Musik
    Schnitt
    Ausstattung
    Bau
    Maske
    Kostüme
    Produktionsleitung
    Herstellungsleitung
    Redaktion
    Produktion






    Helmut Herbst
    Henning Zick BVK
    Slavco Hitrov
    Theo Janßen, Ernst Bechert
    Renate Merck
    Hans Thiemann, Evelyn Cichon
    Peter Becker
    Peter Bour
    Rita Graf
    Hermann Wolf, Elke Peters
    Helmut Wietz
    Christoph Holch
    cinegrafik, Hamburg 1981

    An der Finanzierung des Films waren beteiligt:
    – die Filmförderung Hamburg
    – das Kuratorium Junger deutscher Film
    – die Filmförderungsanstalt
    – das ZDF

    BIOGRAFIE

    Biografie Helmut Herbst

    Geboren 1934 in Waldbröl/Escherhof, Nordrhein Westfalen.

    1955 - 61
    neun Sem. Studium der Kunstgeschichte/Archäologie, Hamburg, parallel an der HbK Hamburg: Studium der
    Malerei ( u.a. bei Willem Grimm )

    1959 - 60
    Parisstipendium (Malerei), Stammgast der Cinémathèque Française

    1962
    Gründung des cinegrafik – Studios in Hamburg

    Animationsfilme, Kinderfilme, Dokumentationen, freie Produktionen, Trickspezialist, freier Mitarbeiter des NDR für die Magazine PANORAMA und „Hallo Nachbarn“.
    Cinegrafik produzierte in Hamburg im Laufe der Jahre viele Stunden Zeichentrick für Sesamstraße, Kinderfilme für den WDR, Industrie- und Werbefilme

    ab 1965
    Produzent unabhängiger Filme mit den Regisseuren M. Bohm, H. Costard, F. Winzentsen, H. Bitomski, H. Farocki

    1967
    Gründungsmitglied der Hamburger Filmemachercooperative.

    ab 1968
    medienkundliche und kunsthistorische Dokumentationen für das Fernsehen

    1969 - 79
    Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb), Berlin, daneben filmhistorische Arbeiten und Veröffentlichungen, Gastvorträge.

    1979
    Mitbegründer des Hamburger Filmbüros
    Reduzierung des cinegafik- Studios von 9 auf 2 Mitarbeiter

    1980
    Dozent an der University of the West Indies, Kingston

    1986
    Umzug des cinegrafik- Studios in den Odenwald.

    1985 - 2000
    Professor an der Hochschule f. Gestaltung (HfG), Offenbach
    Aufbau einer praxisorientierten Filmausbildung im Studienschwerpunkt AV/ Medien.






    INTERVIEW

    Auszüge aus einem Gespräch,
    das Helmut Herbst, Henning Zick (Kamera) und Klaus Feddermann am 7.3.1982 in Hamburg führten (Filmfaust 27/82)


    Klaus Feddermann:
    Wie bist du auf den Stoff deines Spielfilms „Eine deutsche Revolution“ gekommen?

    Helmut Herbst:
    Die Filme, die du nennst, das sind alles Filme, die sich mit historischen Situationen befassen, in denen politisch eine Aufbruchstimmung herrschte, ob das z.B. nun 1918 war oder 1968. In diesen politischen Aufbruchstimmungen sind ästhetische und politische Radikalität eine Zeit lang Hand in Hand gegangen, bei DADA wie auch 1968 wieder. Ich habe daher auch den Büchner so gesehen als jemanden, der durch seine Verwicklung in die Konspiration in Hessen 1834 um den Pfarrer Weidig herum zum Schreiben gefunden hat. In der mit Weidig verfassten Flugschrift: „Der Hessische Landbote“ sind ästhetische und politische Radikalität zusammengekommen. Später trennen sich ästhetische und politische Radikalität meist wieder voneinander. Immer, wenn bei uns eine Revolution von den Massen nicht aufgenommen wurde, wurde die Ästhetik der Künstler radikal, und es wurde das produziert, was wir in der Schule als deutsche Kultur lernen müssen.

    Klaus Feddermann:
    Der Film besteht ja aus zwei Teilen; in der ersten Hälfte des Films ist Büchner die zentrale Figur, in der zweiten Hälfte ist dies der Pfarrer Weidig. Warum hast du diese merkwürdige dramaturgische Konstruktion gewählt?

    Helmut Herbst:
    Ja, der Büchner blendet in der zweiten Hälfte des Films langsam aus, nur noch in einigen wenigen Szenen wird er gezeigt mit seiner Wissenschafts- und Kunstproduktion und dem Leiden schließlich, das ihn einholt, als er sich im sicheren Ausland in Zürich befindet. Der zweite Teil des Films ist die Passion des Pfarrers Ludwig Weidig, der von einem bestimmten Punkt ab zur Hauptfigur wird. In der ersten Hälfte des Films blättern wir so eine Art historisches Bilderbuch auf; die Passionsgeschichte des zweiten Teils ist nur verständlich vor dem Hintergrund dieser „einfach“ erzählten Geschichte im ersten Teil. Wenn ich „einfach“ sage, dann meine ich, dass ich keine psychologischen Muster von Personen aufbaue. Ich habe versucht, Bilder, Tableaus, zu bauen, die dem Zuschauer Gelegenheit geben, da hineinzugehen und Entdeckungen zu machen. Und das Gebaute, - es hat etwas Distanzierendes -, dieser Bilder ist durchaus beabsichtigt. Es gibt eben nicht diese markierten psychologischen Wanderwege für den Zuschauer, wie z.B. in der „Bleiernen Zeit“. Ich glaube, alle meine Filme haben von dieser „Einfachheit“, auch noch in einem anderen Sinne – der Trickfilm „Schwarzweiß-Rot“ von 1964 genau wie „John Heartfield, Fotomonteur“ von 1977. Ich sehe es als sehr natürlich an, eine Furche neben die andere zu ziehen und nicht querfeldein zu ackern. Die Information liegt in den Bildern und wie sie einander zugeordnet sind und in welchem Rhythmus. Aber das setzt beim Zuschauer voraus, dass er eine tätige Teilnahme entwickelt, dass er den Film letztlich produziert, wie Kluge sagt; es gibt eine Menge von Filmemachern, die ich schätze, die so arbeiten oder die so gearbeitet haben. Gerade bei einem historischen Film muss man Respekt vor den Bildern behalten.

    Klaus Feddermann:
    Dieser distanzierte Blick auf die historischen Ereignisse verhindert, dass einen die Bilder aufsaugen. Der Betrachter verfolgt nicht „ wie gebannt“ die Aktion der Darsteller im Bild, sondern das Bildganze ist zur Betrachtung freigegeben. Der Selektionssprung, der durch Handlungen entsteht, entfällt. Nicht mehr der Dramaturg, - der Betrachter ist „Herr der Bilder“.

    Helmut Herbst:
    In unserem Film respektiert die Kamera das Bild als Bild und spaziert nicht so bieder und „voll Gottvertrauen“ in der Szene herum. Darum haben der Kameramann Henning Zick und ich uns eine bestimmte Kamerakonzeption für den Film überlegt. Die Fläche war das Maßgebende, die Fläche der Leinwand, auf der der Film letztendlich in der Projektion entsteht. Die Kamera ist aus diesem Grund immer planparallel, es gibt keine „Schüsse“ über Eck, bei der Aufteilung der Fläche spielt der ‚goldene Schnitt’ eine gewisse Rolle und so weiter.

    Klaus Feddermann:
    Diese Form der Annäherung über die tableauartigen Bilder hat auch eine zeitliche Dimension, die Bilder haben eine Dauer – sie lassen die Zeit des 19. Jahrhunderts auch darin erfahrbar werden. Der Raum wird durch den Schnitt nicht zerstückelt ...

    Helmut Herbst:
    Es gibt auch schnelle Schnitte und Gegenschüsse, - aber nur bei Konfrontationen. Sonst ist das wirklich ein Rhythmus, der langsam ist, langsam, wie die Personen in dem Film miteinander sprechen, sich aussprechen lassen ...

    Henning Zick:
    Es hat auch damit zu tun, dass wir andere Begriffe von der Zeit haben, wenn wir uns dieser Epoche nähern wollen. Wir machen ja heute Dinge in Minuten, die sich durchaus damals über Stunden und Tage hingezogen haben können. Wenn wir uns mit unserer Zeit-Dynamik so einer Sache nähern, da muss man ungeheuer vorsichtig sein.

    Helmut Herbst:
    In unserem Film ist das Licht einer der Hauptdarsteller, es wird also thematisiert, d.h. wir benutzen das Licht nicht, um bestimmte Effekte zu erzeugen. Das Licht, was da zu sehen ist, wird auch in seinem Entstehen gezeigt. Wir sind immer davon ausgegangen, daß die Lichtquelle selber handelt; das geht ja soweit, daß es Szenen gibt, in denen Kerzen angezündet werden, in den Raum getragen werden und nach und nach durch die Kerzen, die vor den Leuten hingestellt werden in der Bibliotheksszene beim Pfarrer Weidig, die Gesichter sich aus dem Dunkeln lösen. Es gibt eine Szene, wo der Gefängniswärter Preuninger (Marquard Bohm) dem Pfarrer Weidig, der auf seiner Pritsche scheinbar schläft, ins Gesicht leuchtet und das Licht sich langsam entfernt. Es gibt Szenen, wo Kerzen ausgeblasen werden, wo dann dieser typische Qualm einen Augenblick in der Luft steht. Es gibt Blendlaternen, es gibt einfache Kerzen, es gibt Fackeln und jede hat ihre spezifische Lichtcharakteristik; man hört auch das Geräusch von den brennenden Fackeln in den Gefängnisgängen. Dieses Licht hat ja eine ganz andere Bedeutung gehabt als dies überall vorhandene elektrische, was wir heutzutage haben, d.h. das Licht fesselte die Personen in einem engen Kreis.

    Helmut Herbst:
    Wir haben auch gesucht, diese Intimität, die dadurch entsteht, nicht zu überschreiten, d.h. wir haben wenig Totalen. ... Das ist einfach so, daß jetzt vorrausgesetzt wird, daß da irgendwo eine Kerze steht bei einer Großaufnahme und du siehst irgendein geheimnisvolles Flackern auf dem Gesicht; du siehst das Gesicht an die Kerze herankommen, das Gesicht wird plötzlich hell, geht wieder zurück, wird dunkel, dann spricht derjenige, die Kerze flackert, und dieses Flackern des Lichts siehst du im Gesicht. Diese Thematisierung des Lichts habe ich aus Filmen der 20er Jahre gelernt, aus Filmen, in denen z.B. Guido Seeber Kamera gemacht hat. Du weißt, daß ich mal einen Film über ihn gemacht habe und aus der Analyse dieser Filme, wie der z.B. Licht gemacht hat, ist also vieles von dem gekommen, was ich im Kopf hatte und was Henning dann auf seine Weise variiert, realisiert hat in dem Film.

    Henning Zick:
    Wir haben auf das, was der Farbfilm leisten kann, verzichtet. Im zweiten Teil des Films, wenn die schönen Tableaus kaputtgehen, war das eine von mehreren Möglichkeiten, die Farbe zu entsättigen. Da sollte die Farbe allmählich verschwinden oder auf ganz wenige Farbtöne reduziert werden. Es mußte ja ausgedrückt werden, daß die Zellen dunkel und feucht sind und das einfallende Tageslicht schmerzhaft ist.

    Helmut Herbst:
    Also ohne diesen Artikel von Bergala „Über das Saubere und das Schmutzige im Film“ (siehe: FILM-FAUST Nr. 25) zu kennen, haben wir uns damals schon gesagt, daß wir einfach wegwollen von dieser Farbigkeit, die alles bis ins Detail nachzeichnet, daß wir auf extreme Lichtsituationen aus waren. Wenn am Anfang Kerzenlicht thematisiert wird, was so etwas wie Heimat und Wärme gibt, ist im zweiten Teil Licht immer mit einem Schmerzeindruck verbunden. Wir haben das Licht, das durch ein Gefängnisfenster hereinfällt, so verstärkt, daß ein Schmerzeindruck von Licht entsteht, so wie man den als Gefangener auch in der Zelle hat.

    Klaus Feddermann:
    Ich erinnere mich an einen historischen Film von Stanley Kubrick „Barry Lyndon“, wo ja auch in vielen Szenen mit Kerzenlicht gearbeitet wurde. Wenn ich jetzt diese beiden Filme unter diesem Aspekt vergleiche, so hat der mit einem viel größeren ökonomischen Aufwand hergestellte und mit viel größerer Akribie ausgewiesene Film nicht diese Intensität in den Kerzenlichtszenen.

    Henning Zick:
    Da müssen wir aufpassen, daß wir nicht einem Mißverständis unterliegen, d.h. nicht, daß wir ohne Scheinwerfer gearbeitet haben. Wir haben das Kerzenlicht als Thema im einzelnen Bild voll anerkannt und jetzt nur versucht, es technisch zu „verlängern“. Wir haben mit sehr kleinen und gut gefilterten Scheinwerfereinheiten das Kerzenlicht unterstützt mit den optischen Kunstgriffen, die wir bei den Malern studiert haben.

    Klaus Feddermann:
    Wenn man in diesem Zusammenhang von einem funktionalen Licht sprechen kann, dann gibt es ja Unterschiede. Wenn ich Punktlichter setze, dann habe ich in relativ statischen Szenen (Tableaus) keine großen Schwierigkeiten – aber wie verhält es sich, in dem Augenblick wo Bewegungen stattfinden?

    Helmut Herbst:
    Wir haben das dann so gelöst, daß die Darsteller die Laternen oder Fackeln mit sich führen.

    Henning Zick:
    Es gab natürlich elektrisch verstärkte Laternen, es gab elektrisch verstärkte Kerzen für ganz schwierige Szenen und dann kann man natürlich auch noch die Wege einer sich bewegenden Kerze oder Laterne mit Licht bestücken. Wenn z.B. Preuninger, nachdem er den Pfarrer Weidig von Stuhl geworfen hat, mit seiner Laterne den Raum verläßt, müssen viele punktgerichtete Lichter getrennt voneinander regelbar sein, damit man den Weg, die Bewegung der Lichtquelle nachvollziehen kann.
    Klaus Feddermann: Aber das herkömmliche Filmmaterial mit 100 ASA würde das ja schon nicht mehr leisten.

    Henning Zick:
    Ja, hier haben wir einen großen Vorteil, es gibt ja jetzt seit gewisser Zeit auch höher empfindliche Farbfilme, nämlich 250 ASA-Material. Und im Zusammenhang mit sehr lichtstarken Objekten kommt man schon auf ganz brauchbare Werte.

    Helmut Herbst:
    Wir wollen nahe an die Grenze, kurz bevor der Film umkippt und anfängt zu rauschen, auf diesem schmalen Grad haben wir uns bewegt. Das ist aber nur möglich, wenn eine gute Negativentwicklung dabei ist.

    TEXTE ZUM FILM

    Vormärz

    In welch bitterer Armut die Landbevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Großherzogtum Hessen lebte, lehrt uns ein Blick auf die unterentwickelten Länder Afrikas oder Lateinamerikas heute. Hessen war damals ein reines Agrarland, dicht besiedelt von einer rasch wachsenden Bevölkerung, die nur mit der Hilfe des neu eingeführten Kartoffelanbaus verheerende Hungersnöte überstand. Leibeigenschaft und Frondienste waren erst 1820 abgeschafft worden. Aber nicht nur die Landbevölkerung war verarmt, auch Handel und Handwerk lagen danieder. Die beginnende Industrialisierung hatte Hessen noch nicht erreicht. Des Großherzogs Steuereintreiber, Gendarmen, Richter, Forstläufer und Dragoner verbreiteten im Volk Hass und Schrecken. So kam es im Gefolge der Pariser Volkserhebung vom Juli 1830 auch in den deutschen Staaten zu Revolten. In Kurhessen zog das Volk vor das Kasseler Schloss, stürmte in Hanau die Zollämter und erzwang eine liberale Verfassung. Im Großherzogtum (Hessen-Darmstadt) waren es die Bauern, die aus dem Vogelsberg in bewaffneten Haufen auf die Hauptstadt zogen und erst durch den Einsatz von Militär zur Räson gebracht werden konnten. Dragoner aus Butzbach richteten im September 1830 das berüchtigte Blutbad beim Dorf Södel an. Das Bürgertum und die gebildeten Schichten verhielten sich in dieser Situation merkwürdig gespalten. Einerseits arrangierte man sich mit der herrschenden Klasse der Aristokraten gegen die Bauern und Handwerksgesellen und zog aus den dem Feudalismus abgerungenen, mehr oder weniger liberalen städtischen Verfassungen, für den eigenen Besitz den größten Nutzen. Für diesen Nutzen stellten sich die Bürgergarden und Schützengesellschaften als Ordnungsmacht gegen den „Pöbel“ an die Seite der Regierung. Auf der anderen Seite wuchs, ausgehend von der Französischen Revolution, unter Studenten, Akademikern und Kaufleuten ein neues Bewusstsein von Gleichheit und Brüderlichkeit auch mit den unteren Schichten. Dort träumte man von einem national geeinigten, demokratisch regierten Vaterland Deutschland. Gegen diese noch uneinheitlichen und wenig programmatischen Strömungen richtete sich in den Dreißiger Jahren verstärkt die schon 1819 durch die Karlsbader Beschlüsse geschaffene „Zentralbehörde zur Unterdrückung demagogischer Umtriebe“, eine Art geheimer Staatspolizei; sie war bezeichnenderweise die erste und einzige Zentralbehörde, zu der es die im „Deutschen Bund“ zusammengefassten Kleinstaaten unter dem Druck Preußens und Österreichs brachten. Ganz Deutschland war mit einem dichten Netz von Spitzeln und Bütteln überzogen; vor allem die Universitäten wurden argwöhnisch überwacht. Unter ihnen galt die Universität Gießen wegen ihrer aufrührerischen Vergangenheit mit Karl Follen und den „Schwarzen Burschenschaften“ als Hort demagogischer Umtriebe.

    Friedrich Ludwig Weidig
    In Hessen versuchte der Butzbacher Pfarrer und Rektor Weidig die zersplitterten oppositionellen Gruppen zu einigen. Er war ein im Aufbau konspirativer Zirkel erfahrener radikaler Protestant und Demokrat, der wegen seiner Aufrichtigkeit und Humanität die Hochachtung seiner hessischen Mitbürger genoss. Um 1810 bereits einmal aus politischen Gründen von der Universität relegiert, hat er zeitlebens Partei für das Volk gegen den Feudalstaat ergriffen und war 1832 einer der Mitorganisatoren des Hambacher Festes, bei dem 30.000 Oppositionelle, auch aus den unteren Schichten, zu einer machtvollen Demonstration für ein befreites demokratisches Deutschland unter den Farben Schwarz-Rot-Gold zusammengekommen waren. Am 3. April 1833 erstürmten Handwerker und Studenten die Frankfurter Konstabler- und Hauptwache im Handstreich, aber als sie die erbeuteten Waffen ans Volk verteilen wollten, bleiben sie allein. Ein Regiment Militär treibt sie auseinander. Weidig hatte sich von dem Frankfurter Wachensturm „unter allen Klassen eine ungeheure Bewegung“ versprochen. Stattdessen schlagen die „Demagogenverfolger“ überall zu. Ungeachtet dieser schwierigen Situation fährt Weidig fort, zu agitieren, gibt eine Flugschrift, den „Leuchter und Beleuchter für Hessen, oder der Hessen Notwehr“ heraus, unterstützt die nach dem Wachensturm verhafteten Gesinnungsgenossen und redigiert und druckt 1834 die von dem Studenten Büchner entworfene Flugschrift unter dem Titel „Der Hessische Landbote“. Im Zuge der Verfolgung, der die Mitglieder der Verschwörung wegen der Verbreitung dieses Flugblattes ausgesetzt sind, wird er zunächst nach Obergleen strafversetzt und dort am 22. April 1835 verhaftet. Auf seine bereits vorbereitete Flucht in die Schweiz hatte er einen Monat zuvor verzichtet. Er stirbt am 23. Februar 1837.

    Georg Büchner
    Er kommt 21jährig von Straßburg nach Gießen an seine Heimatuniversität, um dort weiter Medizin zu studieren. Nach französischem Vorbild gründet er bald eine geheime „Gesellschaft der Menschenrechte“ und kommt mit Weidig zusammen, um ihn zur Herausgabe seines Flugblattes zu überreden. Weidig tilgt aus der Flugschrift gegen Büchners Widerstand die über den Angriff auf den Adel hinausgehenden Ausfälle gegen das Besitzbürgertum und die Liberalen. Büchner, der unter Gießener Kommilitonen als verschlossen und hochmütig angesehen ist, bezeugen seine Mitverschwörer als einen warmherzigen und gleichzeitig mit aller Schärfe analysierenden, mitreißenden Redner. Er verkehrt freundschaftlich nur mit dem „verlotterten Genie“ August Becker. Die rasch wechselnden Stimmungen und tiefe Zerrissenheit Büchners werden deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Entwurf für den „Hessischen Landboten“ und der berühmte Fatalismusbrief nur wenige Tage auseinanderliegen. Er schreibt dort an seine Braut in Straßburg: „Ich fühle mich wie vernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte... Der einzelne nur Schaum auf der Welle...“
    Nach den ersten Verhaftungen beordert ihn sein Vater, der Obermedizinalrat Büchner, nach Darmstadt zurück. Er schreibt dort den „Danton“ und flieht vor einer Vorladung vor die Untersuchungskommission nach Straßburg und schließlich Zürich, wo er Honorarprofessor wird. Er stirbt vier Tage vor Weidig in Zürich an Typhus.

    August Becker
    Der Theologiestudent und stadtbekannte verlotterte Genius war das Kind armer Eltern und auf Freitische in Bürgerhäusern angewiesen, um sein Leben zu fristen. Sein scharfer provozierender Witz war gefürchtet. In der Untersuchungshaft hielt er den Quälereien durch den Untersuchungsrichter Georgi stand und redet über sein Verhältnis zu Büchner und Weidig erst, als beide bereits tot sind. Den von ihm diktierten Protokollen verdanken wir genaue und liebevolle Schilderungen von Büchners politischen Ansichten und Strategien. Nach der Amnestie von 1839 geht er in die Schweiz und wir dort Anhänger des Kommunisten Wilhelm Weitling. Nach der März-Revolution 1848 kehrt er nach Gießen zurück. 1853 wandert er nach Amerika aus.


    Helmut Herbst über die Reaktionen auf seinen Film:
    Die Anstößigkeit des Leidens
    Heute, wo im Kino alles möglich ist, scheint das einzige Skandalon, die Darstellung einer Passion zur sein. Ich spreche von der deutschen Passion des Pfarrers Ludwig Weidig aus Butzbach, der in einem hessischen Gefängnis vor bald 150 Jahren unter ungeklärten Umständen gestorben ist und vom Leiden des Georg Büchner, das ihn im Exil einholt. Die einfache frontale Darstellung des Leidens über die einzelnen Stationen des Weges mit seiner unerbittlichen Logik - ohne pyschologisierende Erklärungen und ohne Seitenblicke der Kamera, wird - zwar nicht vom Publikum, aber von Teilen der Filmkritik - als unzeitgemäß und anstößig empfunden, als „schmutziges Kino“. Man will sich auf ein anteilnehmendes Zuschauen nicht einlassen, nicht auf diesen verdrängten Teil der deutschen Geschichte und nicht auf die Form der Darstellung. Die Skala der Reaktionen reicht vom Verdrängen und Verschweigen des Films über die Bekundung, einen Schlag in die Magengrube erhalten zu haben hin bis zur Rettung im Zynismus. Davor können den Pfarrer Weidig auch die hundertfünfzig Jahre nicht retten. Und die Umstände seines Todes sind offiziell immer noch ungeklärt. Die siegreich wehenden Fahnen der Revolution fehlen in diesem Film über die Konspiration von 1834, aber wenn wir nicht in der Lage sind, das Leiden der Gefolterten wahrzunehmen, können wir auch unsere eigene Hoffnung auf eine Veränderung begraben.“


    Eine deutsche Revolution (1981)

    Meine Filme aus den letzten Jahren haben eine gemeinsame Thematik: Es geht in ihnen, - und das ist mir auch erst im Nachhinein klar geworden, um die Frage, wie in politischen Umbruchsituationen künstlerische Prozesse in Gang kommen, wie sich aus revolutionären Umtrieben das herausbildet, was wir als „Kultur“ bezeichnen. In meinen Dokumentarfilmen „Deutschland dada“ – „John Heartfield, Fotomonteur“ – „1968/ KunstProtestHappening“ z.B. habe ich untersucht, wie unterschiedlich künstlerische Wege verlaufen können, obwohl sie alle einen gemeinsamen Beginn in einer politischen Aufbruchsstimmung haben, wie politische und ästhetische Radikalität eine Zeit lang Hand in Hand gehen und sich dann trennen. Auch mein Spielfilm „eine deutsche Revolution“ über die hessischen Verschwörer von 1834 um den Dichter Georg Büchner und den Pfarrer Friedrich Ludwig Weidig handelt davon.
    Eine deutsche Revolution – unser deutsches Problem
    (ein Text von Christian Ziewer)

    Helmut Herbsts „Eine deutsche Revolution“ ist ein historischer Film. Wie er erzählt, lässt er uns Wurzeln finden, die herüberreichen. Sie verbinden die Gegenwart mit der Vergangenheit und erschließen uns die Vergangenheit aus der Gegenwart.
    Herbst beschreibt nicht einen geschichtslosen, universellen Kampf der Moral gegen die Unmoral, sondern den Versuch von Menschen, in einer konkreten, historisch exakt bezeichneten Lebenssituation Würde zu bewahren. Er beschreibt den aufrechten Gang und wie er, aus der Idee von Freiheit gewonnen, von einer konkreten, historisch exakt bezeichneten Gewalt niedergedrückt und ausgelöscht werden soll. Und er beschreibt, wie der Widerstand gegen die Tyrannis, in Ohnmacht erstickt, durch die Kunst des Georg Büchner doch erhalten und weiter getragen wird. Es ist kein Zynismus, wenn über den Gräbern der Opfer der Gedanke an Freiheit zur Kunst gerinnt. In der Ästhetik ist die Menschlichkeit, welche von der Realität verweigert wird, für uns aufbewahrt, die wir zuschauen, die wir sie aufnehmen. In dieser Trennung von scheiterndem Leben und sieghafter Kunst wird unsere eigene Sache verhandelt, unser „deutsches Problem“ – eine „deutsche Revolution“.
    Der Revolutionär Thomas Müntzer schrieb 1525: „Und ob ich das sage, muss ich aufrührig werden.“ Wie Helmut Herbst seinen Film erzählt, wird er zum Aufrührer. Der Film beginnt mit einem Insert mit den Worten Büchners: „Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen.“ Herbst wurde rasend gemacht, aber er rast unspektakulär, ganz jenseits der herkömmlichen Kinodramaturgie und –ästhetik. Sein Gegenstand bleibt uns lange Zeit fremd, weil er selbst sich ihm als etwas Fremdem nähert. Der Duktus des Sprechens und das Schweigen, die Rhetorik der Gesten, die Befangenheit des demonstrativen Zeigens – alles verweigert uns den schnellen Zugang, die wir ihn sonst im Kino suchen und ihn scheinbar finden. Die Zeichen, die Herbst setzt, müssen von uns entschlüsselt werden, wir müssen daraus eine Geschichte machen: einer wird gepeitscht, die Stiefel des Schlagenden erzählen von dessen Anstrengung. Einer wird gefoltert, die Geräusche der Foltergeräte erzählen vom Terror. Während wir das großartige Manifest des „Hessischen Landboten“ hören, werden Kerzen angezündet. Widerstand wird erkennbar in der Art, wie ein amtliches Dokument übergeben wird, und die Macht von Waffen in den Bewegungen, mit denen sie vergraben, begraben werden. Während ein Richter sein Recht vollzieht, berichten Geräusche vom Kasernenhof nebenan uns vom künftigen preußischen Unrechtstaat. Licht fällt auf die Akte, statt auf das Gesicht des Richters. Die für mich schönste Figur, voll finsterer Wahrheit, ist der Gefängniswärter. Die Geste und das Geräusch, mit dem er anhand des Scheißtopfes seine Sorgfaltspflicht demonstriert, die Arbeit, die es ihm macht, zu foltern, sein Unwillen, wenn er den Gefolterten auffordert, sich nicht so schwer zu machen, ihm zu helfen, und schließlich sein Wunsch, „diesen Menschen abzutun“, damit er endlich die Schufterei loswerde – wer erkennt dahinter nicht mehr als nur den einzelnen, dumpfen Erfüllungsgehilfen? Immer wieder sehe ich auch, was ich nicht sehe: In den engen Räumen mit den tiefliegenden Decken oder im nächtlichen Dunkel, von Fackeln und Schemen noch dunkler gemacht, denke ich an die weiten, freien Landschaften des fast gleichzeitigen Caspar David Friedrich und daran, wie viel deren Abwesenheit über diese „Revolution“ aussagt. Und wenn es dann den einzigen großen Blick in die Ferne gibt, wird mir berichtet, dass die Bauern sich nicht erhoben haben. So erzählt uns die menschenleere Landschaft von Deutscher Geschichte. Nicht auf dem Schlachtfeld, dem Abschlachtfeld, nicht im hellen Licht des Tages findet das Sterben statt, wie wir in den Heldengeschichten hören, sondern in der Finsternis, da, wo die Einsamkeit am größten ist. Schrecklich das Bild, wenn der todkranke Büchner sich nachts aus dem Bett quält, um zu urinieren. Nur die schattenhaften Umrisse der Beine sind zu sehen, und wir warten auf den befreienden Ton des fallenden Urins, wir warten und warten. Und er kommt nicht. Erregt und leidend an unserer Vorstellungskraft wird uns klar, was Terror des Staates bedeutet. Deutsche Geschichte. Eine Reise in Licht und Schatten, in Tönen und Geräuschen, eine Reise zu den Sinnen und zu unserer Einbildungskraft. In dieser Befreiung der Physis, der sinnlichen Anschauung, liegt, so scheint mir, das eigentlich Politische dieses Films. Er arbeitet daran, die fehlende Verbindung von Idee und physischer Existenz herzustellen, die Verbindung, die den revolutionären Studiosi abhanden gekommen ist, wie uns selbst, bei ihrer Revolution ohne Lieder, ohne Marseillaise und Carmagnole.

    Eine solche Sinnlichkeit des Kinos hat nichts mit der Empfindsamkeit des Bauchnabels gemein, die wir in unseren Salonplaudereien als Sensibilität ausgeben. Das meint eine Befreiung der Sinne im Kampf für die Freiheit aller! Indem Helmut Herbst veränderte Bilder von der Welt herstellt, Bilder, in die unsere Erfahrungen eingehen können, statt hinaus gedrängt zu werden, hilft er mit, diese Welt zu verändern. Denn nur dann sagt ein Film 24 mal in der Sekunde die Wahrheit, wenn er die Wahrheit aller anderen Sekunden unseres Lebens mit einschließt. Ein Bild ist kein Bild! Es wird erst eins, wenn es auf die anderen Bilder unserer Geschichte trifft, unsere individuellen und unserer kollektiven. Die Kunst einer solchen Montage in unseren Köpfen hat Herbst in seinen früheren Filmen erprobt, beim Monteur Heartfield wie beim King-Kong. Dass und wie er diese Kunst jetzt auf einen vergessenen, verdrängten Teil unserer Geschichte angewandt hat, macht für mich diesen Film so bedeutend.