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  • Bilder der Welt und Inschrift des Krieges

    PRESSESTIMMEN

    Sehen und aufklären

    Harun Farockis Essayfilm "Bilder der Welt und Inschrift des Krieges"

    ...Im Glücksfall heißt dieser Regisseur Harun Farocki und kann sich dieser Logik so lustvoll und klug, so subversiv wie dezidiert bedienen, daß die Strukturen der (Film)-Illusion sichtbar werden, ohne die raffinierte, halbdokumentarische, essayistische Struktur seines eigenen Films gesprengt und etwa dem "unfilmischen"" nur" kommentierenden Wort die Arbeit an und mit den Bildern überantwortet würde... Farockis Arbeit ist eine komplizierte Umgehung der Simulation: Sie zielt auf die Reflexion der Simulation.Farockis "Macht"beruht dabei auf der Kenntnis scheinbar akausaler und disparater historischer Ereignisse und Überlieferungen, die er miteinander in Verbindung bringt, ohne sie deshalb gleichzusetzen. Mittel dieser zwanglosen und doch zum Denken in Gegensätzen zwingenden Filmästhetik ist eine äußerst skrupellose Montagetechnik. Die Bilder selbst:Vor-Bilder, Zwischen-Bilder zunächst. Eine Skizze von Dürer, in der sich zur Erläuterung des Sehvorgangs in einem Auge Strahlen bündeln. Die Gesichter algerischer Frauen, die 1960 zum ersten Mal, zudem ohne Schleier, fotografiert wurden. Die Innenräume einer Kunstakademie, in der unterschiedliche Ansichten eines Aktmodells entstehen. Das Antlitz einer Frau, das sich beständig verändert, weil es nach dem schablonen-und collagenartigen Verfahren einer Täterbeschreibung zum Phantombild wird, in dem sich Bruchstücke anderer Frauengesichter überlagern. Die Gemeinsamkeit dieser Bilder: Sie tehen in einer Assoziationskette, deren Verlauf im Kopf des Betrachters Fragen nach dem Verlust der Intimität, des Ausgeliefertseins an den Erfassungsdienst der Kamera, der vergeblichen Illusion von Identität nach sich zieht.

    Das Fremde und Vereinzelte der Bilder: Sie entwinden sich der eindeutigen Einordnung. Es gilt, die isolierten Assoziations-und Argumentationsstränge dieser bildlichen "Richt-Linien" des Films zu sehen, bevor sie sich im Auge zu einem Gesamteindruck des Films bündeln. "Aufklärung", so der Kommentar " ist ein Wort aus der Geistesgeschichte". Und ein wenig päter: "Aufklärung ist ein Wort aus der Militärsprache. Oder der Sprache der Polizei. "Von der zerstörerischen Ambivalenz, die ein Wort entfalten kann, ind auch die Bilder betroffen. Der Ort, an dem für Farocki die Inschrift des Krieges in den Bildern der Welt sichtbar wird, ist Auschwitz. Sein Film zeigt drei Bildebenen von Auschwitz. Drei extreme Standorte, von denen aus und aus denen sich die Struktur der Grausamkeit ablesen läßt. Da ist die Photographie eines SS-Mannes, der eine Frau auf dem Weg ins Lager aufgenommen hat. Die Kamera des SS-Mannes hat eine Frau fixiert, die ermordet werden wird. Dann sind da die Zeichnungen von Alfred Kantor, der Auschwitz überlebte und "naturgetreu" rekonstruierte. Wenn die Wege der Photographie so leicht zur Mittäterschaft führen wie zur Zeugenschaft, was bleibt den Opfern? Die Simulation einer höllischen Simulation.

    In Auschwitz war die Gaskammer als Duschraum eingerichtet, die Wagen, in denen Zyklon B antransportiert wurde, trugen die Zeichen des Roten Kreuzes. Kein Zeichen, kein Wort, kein Bild, auf das Verlaß ist. Aus einem dritten Blickwinkel sieht man Auschwitz aus der Draufsicht. Aus 7000 Meter Höhe nehmen sich die Deportierten vor den Krematorien wie eine Blutspur aus. "Die Photographie, die das bewahrt, und die Bombe, die zerstört, das drängt im Zweiten Weltkrieg zusammen. "Aber die Bombe fiel nicht auf Auschwitz. Die Luftaufnahmen der Alliierten entstanden nur durch ein Versehen. Weil die Besatzung das Gelände der IG Farben aufspüren wollte und nicht das Lager, fand sie es auch nicht. Auch später, als zwei Augenzeugen entkommen konnten und die Alliierten verständigten, wurde das KZ nicht bombardiert. Seit dem 4.April 1944 hatten die Alliierten ein Bild von Auschwitz. Aber sie machten sich keins von den Qualen der Verschleppten.

    Heike Kühn in Frankfurter Rundschau 13.5.89