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  • COFFEE BEANS FOR A LIFE Mein Überleben in Kolbuszowa

    D 2005, DVD, Farbe, 90 Min.
    Original (polnisch, englisch)
    mit dt. overvoice


    STAB

    Buch und Regie
    Kamera
    Schnitt
    Musik

    Ton
    Aufnahmeleitung
    Producer
    Redakteur
    Produzenten
    Produktion




    Helga Hirsch
    Piotr Lenar, Albert Maysles
    Katarzyna Maciejko-Kowalczy, Ludmilla Korb-Mann
    Jossif Gofenberg, Symcha Keller, Astrid Hengst,
    Theodor Hotze
    Marek Slaski
    Alicja Schatton
    Andreas Goldstein
    J.Boehncke (RBB)
    Clementina Hegewisch, Laurens Straub,
    Next Film / RBB 2005

    Eine Gemeinschaftsproduktion von
    Next Film Filmproduktion mit dem RBB
    Produziert mit Mitteln des Bundesministeriums für Kultur und Medien (BKM)

    BIOGRAFIE

    HELGA HIRSCH

    1948 geboren in einem niedersächsischen Dorf bei Hannover.
    Studium der Germanistik und Politologie an der Freien Universität Berlin
    Promotion über Opposition in Polen 1976-1980
    1989-1995 Korrespondentin der Wochenzeitung „Die Zeit“ in Warschau.
    Berichte von den Wende- und Nachwende-Ereignissen in Polen, Ungarn, Rumänien etc. und vom
    Krieg im ehemaligen Jugoslawien.
    seit 1996 freie Publizistin in Berlin (u.a. für die FAZ, Die Welt, den WDR, den Deutschlandfunk und ARTE).
    2001 deutsch-polnischer Journalistenpreis
    2005 „Latücht“-Dokumentarfilmpreis Neubrandenburg

    Bücher

    Die Rache der Opfer - Deutsche Zivilisten in polnischen Internierungslagern 1945-1950
    (Rowohlt Berlin 1998)

    Ich habe keine Schuhe nicht
    (Hamburg, Hoffmann und Campe 2002) - Lebensläufe von Polen, Juden und Deutschen, die sich zwischen verschiedenen Nationalitäten bewegen.

    Schweres Gepäck – Flucht und Vertreibung als Lebensschicksal
    (Hamburg, edition Körber 2004) –Sechs Biografien mit einem Essay über psychologische Spätfolgen.


    FILME

    1998
    2001
    2003
    Dokumentarfilme

    Späte Opfer - Über die Internierungslager für Deutsche in Polen (WDR/MDR)
    Der Erbfeind – Preußen aus polnischer Sicht (ARTE/ORB)
    Schönes Land – armes Land. Bulgarien im Aufbruch (ARTE / ORB)

    FESTIVALS / AUSZEICHNUNGEN

    06/2006







    als bester deutscher Film auf dem Festival in Lagow/Polen ausgezeichnet.

    In der Festivalzeitung "Big Lagowski" hieß: "Kolbuszowa. Synagoge und Kirche. Polen und Juden. Gemeinsam seit 300 Jahren. Gemeinsam, und doch getrennt. ... Ein kluger Film. Keinerlei Verallgemeinerungen. Ohne jede Aufgeblasenheit. Ohne jede Beschönigung der Personen. Versöhnung. Verzeihung. Bekenntnis zur Schuld. Abrechnung mit der Vergangenheit. Kolbuszowa. Jedwabne. Polen."

    Hauptpreis des 14. Festivals Dokument Art, Neubrandenburg

    TEXTE ZUM FILM

    Helga Hirsch
    Wie ich Norman Salsitz kennen lernte

    Über die Rache
    Als ich Norman Salsitz im Sommer 2002 das erste Mal in seinem Einfamilienhaus in dem beschaulichen Städtchen Springfield in New Jersey besuchte, wollte ich nur über die Nach-kriegszeit mit ihm reden - wie er nach dem Krieg als Überlebender in seiner alten südpolnischen Heimatstadt Kolbuszowa aufgenommen wurde, warum er Polen verließ, was ihn nach Amerika trieb.
    Doch dann kam alles ganz anders.

    Er erzählte. Stunde um Stunde. Wie er, der in seiner Kindheit Naftali Saleschütz hieß, als Baby für tot gehalten wurde und dann – in die Trauer der Mutter hinein – wimmernde Laute von sich gab, so dass er gerettet wurde. Wie er schreiend aus dem Unterricht gelaufen war, nachdem ein polnischer Lehrer begonnen hatte, allen jüdischen Schülern die Schläfenlocken abzuschneiden. Wie er bei einem Schulfest auf der Bühne hinter einem Paravent hatte singen müssen, damit niemand unter den Zuschauern sah, dass es ein Jude war, der eine so schöne Stimme hatte.. Wie er sich an einem polnischen Jungen, der Juden in der Schule beleidigte und schlug, mit so deftigen Stockschlägen gerächt hatte, dass der Arzt und die Polizei gerufen werden mussten.
    „Das ist meine Natur. Ich kann nicht aushalten, wenn ein Unrecht geschieht. Ich habe mich nie gefügt. Ich habe immer gekämpft.“

    Deswegen hat er nach eigenen Worten überlebt: Dass er es denen heimzahlte, die seinen Vater, seine Familie, fast sein ganzes Volk ermordeten. Hilft Rache denn? „Nein“, sagt Norman Salsitz. „Rache hilft nicht, denn die Menschen werden nicht wieder lebendig. Aber schließlich sollten jene nicht ungeschoren davon kommen, die Böses getan haben.“

    Ein gutes Jahr lang hat er, der im polnischen Sicherheitsdienst anheuerte, um sich an den Deutschen zu rächen, erst im Bezirk Krakau, dann im Bezirk Breslau nach ihnen gesucht: nach SS-Leuten, Soldaten, hohen Wehrmachtsoffizieren, Nazi-Größen. Einige hat er noch erwischt. Nach der Flucht aus Polen Ende 1945 konnte er allerdings niemanden mehr verfolgen, sondern nur noch über das Böse erzählen. „Ja, das ist eine Obsession. Aber ich denke, dass ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen sich erinnern.“ Wenigstens das ist er seinem Vater schuldig.

    Später bei den Dreharbeiten wird er den heutigen polnischen Bewohnern des Hauses den Tathergang so lebendig erzählen, als sei das Verbrechen gerade gestern geschehen: Wie zwei Gestapo-Männer in den Garten ihres Hauses im Getto eingedrungen seien, wie sie seinen Vater in den Holzschuppen gestoßen und zwei Mal auf ihn geschossen hätten. Wie der schwer Verwundete die Deutschen jedoch zu beschimpfen begonnen hätte – dass sie den Krieg verlieren würden und Gott sehe, dass sie Mörder seien -, um schließlich mit gellender, unmenschlicher Stimme auf Jiddisch zu rufen: „Nekuma, nemt nekuma!“ - Rache, nehmt Rache. Und immer wieder: Rache, nehmt Rache! Da hätten die beiden Gestapo-Männer fünf weitere Schüsse abgegeben und sein Vater sei verstummt.

    Norman hatte all das vom Dachboden des Nachbarhauses verfolgt – ohnmächtig, voller Scham und Wut, weil er nichts zur Rettung seines Vaters hatte unternehmen können. Zur Untätigkeit verdammt zu sein, erschien ihm seither das Schlimmste, der rächende Gegenschlag hingegen als ein befreiender Akt, der seine Demütigung schmälern und seinen Selbstwert wieder regulieren würde. Ja, er wollte dabei sein, wenn sich das Blatt wenden und die arroganten, allmächtigen Deutschen besiegt und ruiniert werden würden. Sein Wunsch nach Vergeltung an den Deutschen, pflegt Norman Salsitz zu behaupten, habe daher ein festes Ausgangsdatum: den 28 April 1942, den Tag, an dem sein Vater umgebracht wurde.

    „Wie können Sie dann aber einen Film mit einer Deutschen drehen“, fragte ich ihn in jenem Garten im ehemaligen Getto. „Als Sie uns das erste Mal angerufen haben“, antwortete Norman Salsitz, „da hatte ich tatsächlich Bedenken. Wenn Sie die Tochter eines Gestapo-Mannes gewesen wären, hätte ich den Film nicht mit Ihnen gedreht. Aber später haben wir Sie kennen gelernt und gesehen, dass es Deutsche gab – wenige – , die anders waren. Und jetzt drehen wir den Film.“


    Über den Groll
    Nach dem Treffen in New Jersey begann ich, Normans, bzw. Naftalis wundersame Ge-schichten vom Überleben zu lesen. Wie er dem Abtransport ins Konzentrationslager Belzec entging. Wie er in der Nacht vom
    19. zum 20. November 1942 aus dem Getto auf die so genannte arische, die polnische Seite floh. Wie er fast zwei Jahre bei Frost, Regen, Hitze im Wald überlebte. Und ich erkannte, dass diese Zeit im Versteck fast noch größere Bitterkeit in ihm hinterlassen hatte als die Zeit im Getto.

    Statt wie erhofft an der Seite seiner polnischen Nachbarn seinen Feldzug gegen die Mörder seiner Familie organisieren zu können, sah Naftali sich plötzlich einem weiteren Gegner ge-genüber. Gleich in der ersten Woche nach der Flucht aus dem Getto wurde über die Hälfte der Geflüchteten denunziert, wenn sie Schutz suchten in ihren alten, inzwischen von Polen be-wohnten Häusern oder wenn sie aus Scheunen oder Kanälen hervor krochen, um sich Essen zu organisieren: Polen meldeten sie den Deutschen und die Deutschen erschossen sie an Ort und Stelle. Naftali selbst wurde im Keller einer früheren Hausangestellten zwar nicht verraten. Dafür erlebte er einen umso größeren Schock, nachdem er sich einer Gruppe von Juden im Wald angeschlossen hatte. Das muss im März 1943 gewesen sein.

    Naftali war mit einigen Männern von nächtlichen Bauarbeiten an einem zweiten Bunker für ihre immer größer werdende Gruppe zurückgekehrt. Da sah er sie: zerstückelte Leichen mit aufgeschlitzten Bäuchen, Körper ohne Kleider und Körper mit gespaltenen Köpfen. Mindes-tens neunzehn Personen aus dem ersten Bunker waren ermordet worden. An der Identität der Angreifer gab es nach Naftalis Meinung nach keinen Zweifel. Deutsche wagten sich nicht in die Wälder, und nur Polen benutzten Äxte, Messer und Heugabeln als Waffen.
    Unmittelbarer Anlass für die Treibjagd war – das gestand bei den Recherchen in Kolbuszowa im Sommer 2003 auch ein polnischer Zeitzeuge zu - der Streit zwischen einem Juden und seinem polnischen Nachbarn.

    Der Jude Ela Katz, ein Mitglied aus Naftalis Partisanengruppe, hatte, als er vor den Deutschen in den Wald flüchtete, dem Kaufmann Kardisz seine Kuh überlassen. Er sollte sie in Abwesenheit des Besitzers verwahren. Doch Kardisz verwahrte die Kuh nicht, er schlachtete sie vielmehr und überließ Ela Katz nicht einmal Leber und Lunge. Stattdessen organisierte er gemeinsam mit einigen anderen Bauern einen Überfall, um Ela Katz und andere Petenten ein für allemal los zu werden.

    Damals konnte Ela Katz entkommen. Er lebte noch gut zwei Monate länger, bis die Gruppe ein zweites Mal überrascht wurde.
    Das muss Ende Mai 1943 gewesen sein.

    Da wurden die etwa 40 Juden, die die Bunker gänzlich aufgegeben und sich einfach tief in einen Jungwald zurückgezogen hatten, eingekreist wie bei einer Treibjagd auf Tiere. Vor ihnen lag eine Art Lichtung, hinter ihnen und seitlich rückten Bauern mit Dreschflegeln, Forken und Äxten vor. Naftali schlug vor, nicht die Flucht nach vorn über die Schneise anzutreten, da genau das die Intention der Angreifer sein könne: sie ins Freie zu locken. Vielmehr sollten sie, die sie teilweise wie Naftali mit einem Revolver ausgerüstet waren, den Bauern direkt entgegenlaufen und sich den Weg durch deren Reihen freischießen.

    Den kleineren Teil der Gruppe konnte Naftali von seiner Taktik überzeugen – ihnen gelang tatsächlich der Durchbruch durch die Front der Angreifer. Der größere Teil hingegen versuchte die Flucht über die Schneise - und lief in die Falle. Wahrscheinlich zwanzig Juden, meint Naftali, seien von Polen entwaffnet und anschließend umgebracht worden.

    Bei der Recherche im Sommer 2003 vertraten die polnischen Interviewpartner eine andere Version.
    Den Deutschen sei zu Ohren gekommen – sagen die einen - , dass sich im Wald Juden ver-steckt gehalten hätten. Da hätten sie den Polen gedroht: Wenn ihr uns die Juden nicht vor die Flinte treibt, werden wir euer Dorf anzünden! Was wäre den Polen also anderes übrig geblieben, als sich an der Treibjagd zu beteiligen? Doch niemand hätte eine Axt bei sich getragen und wer auf einen guten Juden gestoßen sei, habe ihn sogar entwischen lassen.

    Die polnischen Bauern hätten es nicht mehr ausgehalten – sagen die anderen -, nachts von Juden wegen Lebensmitteln bedroht, erpresst, angebettelt zu werden. Hätten sie doch selbst gehungert aufgrund all der Abgaben an die Deutschen. Deswegen hätten die Bauern den Bürgermeister zum Handeln gedrängt und der Bürgermeister hätte die Deutschen zu Hilfe gerufen. Polen wären aber nur die Treiber gewesen, geschossen hätten allein Deutsche.

    „Da war kein einziger Deutscher“, sagt Norman, „kein einziger Deutscher. Die Deutschen hätten die Juden erschossen. Aber kein einziger Jude wurde erschossen, alle wurden vielmehr mit Äxten und Forken umgebracht. Außerdem dachten die Polen, die Juden hätten Gold und Brillanten. Hätten sie die Deutschen gerufen, hätten sie davon nichts abbekommen.“

    Als die Rote Armee im Juli 1944 einrückte, hatten von den 125 Juden, die sich in den Wäldern um Kolbuszowa herum versteckt hatten, nur sechs überlebt.
    „Ich spüre einen tiefen Groll“, sagte Norman bei den Dreharbeiten einem ehemaligen Mitglied der polnischen Untergrund-Heimatarmee. „Keinen Hass – dann wäre ich nicht hier. Aber Groll. Warum? Die Deutschen ermordeten Polen, die Deutschen ermordeten Juden. Wir hatten einen gemeinsamen Feind. Warum konnten wir nicht gemeinsam gegen diesen Feind kämpfen? Deshalb spüre ich Groll.


    Über die Heimat
    „Nun lebe ich schon doppelt so lange in Amerika wie in Polen, doch wenn ich zuhause sage, denke ich an Kolbuszowa.“
    Das erste Haus neben dem Marktplatz habe seinem Vater gehört, hatte Norman Salsitz mir erklärt. Und ich hatte gewissenhaft die Eigentümer des ersten Hauses neben dem Marktplatz um Erlaubnis gebeten, bei ihnen filmen zu dürfen, wenn der Nachkomme des früheren Besitzers sein Elternhaus besuchen würde. Doch als wir mit Norman Salsitz, seiner Tochter und den drei Enkeln am ersten Tag unseres Aufenthaltes in Kolbuszowa auf dem Marktplatz standen, steuerte Norman nicht auf das erste Haus neben dem Marktplatz zu, sondern – meinem Gefühl nach – auf das letzte Haus innerhalb des Marktplatzes. Die Besitzer des Lampengeschäftes waren absolut überrascht und entsprechend ablehnend - mit der Kamera wollten sie keine Besichtigung des Hauses erlauben.

    Norman warb, Norman erläuterte sein Interesse: „Ich möchte meinen Enkeln zeigen, wo ich, wo meine Eltern geschlafen haben“, Norman beschwichtigte: „Ich will das Haus nicht zurück.“ Als alle Argumente keine Wirkung zeigten, verlor er die Beherrschung - und schrie.

    Wir haben die Szene im Film nicht herausgeschnitten, selbst wenn manche argumentierten, Norman sei dadurch kein absoluter Sympathieträger mehr. Doch für mich offenbarte sich in der Überreaktion plötzlich all die Angst, die ihn jahrzehntelang vom Besuch seiner alten Heimat abgehalten hatte. Immerhin hatte er den Bruder eines Klassenkameraden erschossen, als er selbst erschossen werden sollte. Immerhin kannnte er Polen, die sich an den Treibjagden beteiligt oder Juden bei der polnischen Polizei oder bei den Deutschen denunziert hatten.

    Würde er in Kolbuszowa beschimpft, bespuckt, bedroht werden? Würden ihn Antisemiten mit stereotypen Vorwürfen angreifen? Würde er das zweite Mal in seinem Heimatort abgelehnt, verjagt werden?
    Der erste Tag in Kolbuszowa war für Norman Salsitz der schwierigste. Dann verlor er seine Angst, begann einen fruchtbaren Dialog mit polnischen Einwohnern und tauchte nach fast sechzig Jahren wieder in die schmerzlich vermisste polnische Kultur ein. Er konnte am zweiten Tag sein Elternhaus - auch mit Kamerabegleitung – besichtigen. Er konnte die Umstände aufklären, warum er erschossen werden sollte. Er konnte erstmals in seinem Leben polnische Familien in ihren Häusern und Wohnungen besuchen – einen so engen Kontakt hatten die Beziehungen zwischen Polen und Juden vor 1939 in Kolbuszowa war nicht erlaubt. Und er konnte mit der Tochter jener Polin, die ihn nach seiner Verwundung gerettet hatte, alte polnische Volkslieder und alte polnische Kampflieder singen. Da war er in dem Kolbuszowa seiner Kindheit und Jugend wieder angekommen. Da war er nicht der polnische Jude, der er immer sein sollte, sondern der jüdische Pole, der er sein wollte. Und er war glücklich.


    Meine Heimat Kolbuszowa

    Unsere Stadt, Kolbuszowa, war ein kleines Stetl im südlichen Zentralpolen. Halb jüdisch, halb polnisch, bemerkenswert, weil es so gewöhnlich war. Und gewöhnlich meint in diesem Fall arme, sich abmühende Juden, die von ihren manchmal noch ärmeren polnischen Nachbarn beschimpft wurden. Es meint eine polnische Zentralregierung, deren Politik zwischen widerwilliger Toleranz und offener Feindschaft schwankte. Es meint eine jüdische Bevölkerung von Geschäftsleuten und Händlern, von Rabbis und Lehrern, von Professionellen und Laien, von Bettlern und Arbeitern. Einige waren reich und andere waren arm, einige schlau und andere dumm, einige hübsch und andere hässlich, einige waren fromme Orthodoxe und andere gerade noch dem Namen nach jüdisch. Und natürlich meint es, dass die meisten irgendwo dazwischen lagen.
    (Norman Salsitz in: „Three Homelands“)


    Stanislawa Hodór
    Wie Naftali Saleschütz bei uns Hilfe suchte

    Wir wohnten auf einem Dorf, in dem auch jüdische Familien wohnten, die gemeinsam mit den Polen den schweren Alltag meisterten. Große Freundschaften gab es nicht, aber auch keine gegenseitige Feindschaft. Meine Eltern, vor allem mein Vater, hielten gute, und sogar sehr gute und auf Respekt gegründete Beziehungen zu Juden.
    Nach dem Ausbruch des Krieges, als die Deutschen mit der Verfolgung der Juden begannen, baten einige Juden aus unserer näheren Umgebung um Hilfe. Einmal im Winter klopfte abends jemand laut an die Tür. Und sie kamen – die beiden Brüder Saleschütz.
    Tadeusz Saleschütz, das heißt Naftali, war damals 24 Jahre alt. Acht, neun Kilometer waren sie durch den Fluß gelaufen, durch das Eis, barfuß. Ihre Beine waren blutig vom Eis. Einer hatte bereits Fieber. Und sie weinten beide: Frau Hodór, retten Sie uns! Und Mama und ich weinten mit ihnen. Die Kinder schliefen.
    Es gab keine andere Rettung: Wir mussten einen Arzt suchten, denn Tadeusz hatte bereits eine Infektion. Wir marschierten einer hinter dem anderen durch den Wald. Ich sorgte mich um Mama und um ihn. Denn in der Nähe waren sehr viele Deutsche in einer Munitionsfabrik. Und so gingen wir 14 Kilometer nach Sedziszow, erst durch den Wald, später über Felder. Mutter fand dort einen Arzt. Der nahm ihm die Kugel heraus, aber dann sagte er zu Mutter: Ich verschreibe Ihnen Medizin, aber bitte kommen Sie nicht wieder. Er hatte erkannt, dass das ein Jude war.
    (Bei der Familie Hodór haben sich Norman Salsitz und sein Bruder oft versteckt. Stanislawa war damals sechzehn Jahre alt. Sie wurde später von der Holocausgedenkstätte Yad Vashem als ‘Gerechte unter den Völkern`ausgezeichnet).


    Zwei Stimmen
    zur Treibjagd gegen die Juden

    Mieczyslaw Godlewski:
    Saleschuetz organisierte nach seiner Flucht aus dem Getto eine Gruppe von Juden im Wald, die nirgendwo Unterstützung fanden. Die Juden waren in einer viel schlechteren Lage als die Polen. Sie wussten nicht, woher sie die Lebensmittel nehmen sollten. Da entschlossen sie sich zum letzten Schritt und raubten. Die polnischen Bauern konnten das schon nicht mehr aushalten. Tagsüber wurden sie von den Deutschen ausgeraubt und nachts wurden sie von den Juden ausgeraubt.

    Da haben die Polen es dem Bürgermeister gemeldet, der Bürgermeister hat das bei der Gestapo gemeldet und die Gestapo-Leute sagten so: Ihr treibt die Juden aus dem Versteck - und wir erledigen sie. Das hat mir jemand erzählt, der schon nicht mehr lebt.

    Die Polen zogen mit Äxten, Forken und Dreschflegeln los und trieben die Juden vor sich her. Und die Deutschen waren in einer Linie aufgestellt und erschossen sie.

    Norman Salsitz:
    Die Deutschen hatten nur 8 Gendarmen in Kolbuszowa. Die hätten sie nie alle in den Wald geschickt und den ganzen Kreis ohne Polizei gelassen. Außerdem hatten die Deutschen Angst vor Übergriffen in den Wäldern und haben ihn nie betreten. Deshalb fürchteten wir uns nicht vor ihnen. Die Polen aber kannten sich aus und vermuteten bei uns zudem Gold und Brillanten. Jeder Bauer wollte an der Treibjagd teilnehmen, um einen Anteil an dieser Beute zu erhalten. Hätten sie die Deutschen gerufen, hätten sie davon nichts abbekommen.
    Nach der Treibjagd haben wir uns außerdem von Polen berichten lassen, dass niemand durch eine Kugel getötet wurde. Wenn angeblich die Deutschen dabei waren: Warum sind alle mit Forken und Äxten umgebracht worden und nicht mit Kugeln?